: Hysterisch genug, um L.A. zu zerreißen
■ Los Angeles rüstet sich für erneute Unruhen / In den nächsten Tagen soll im zweiten „Rodney-King-Prozeß“ gegen vier prügelnde Polizisten das Urteil fallen
Washington (taz) – Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht in US- Fernsehsendungen und Presse an den Gewaltausbruch in Los Angeles vor fast einem Jahr erinnert wird. Wie in einem Countdown zu einer neuen, vermeintlich unausweichlichen Katastrophe werden die Tage gezählt, bis zum zweiten Mal ein Geschworenengericht sein Urteil gegen jene vier Polizisten verkünden wird, deren Freispruch im April 1992 in mehreren Stadtteilen zu den schwersten Ausschreitungen in der Geschichte von Los Angeles führte.
Die weißen Polizeibeamten Stacey Koon, Lawrence Powell, Theodore Briseno und Timothy Wind sind dieses Mal vor einem Bundesgericht angeklagt, bei der Festnahme des Afroamerikaners Rodney King am 3. März 1991 unverhältnismäßige Gewalt angewandt und damit seine Bürgerrechte verletzt zu haben. Daß der Fall überhaupt zur Anklage kam und solches Aufsehen erregte, war vor allem dem Umstand zuzuschreiben, daß ein Anwohner die Prügelorgie auf Video aufgenommen hatte. Doch das Filmdokument reichte der Jury eines kalifornischen Gerichts damals nicht aus, um die vier der Körperverletzung schuldig zu sprechen. Staatsanwälte des Bundes erhoben daraufhin erneut Anklage. Mit einem Urteil ist am Osterwochenende zu rechnen.
Boom für Waffenhändler
Seit Wochen befindet sich Los Angeles nun in Erwartung dieses zweiten Urteils im Belagerungszustand. Gewinner sind bislang die Inhaber von Waffengeschäften, die sich mittlerweile ausdrücklich bei Reportern für deren Prognosen über einen neuen Aufstand bedanken. Seit Beginn des Prozesses im Februar sind die Verkaufszahlen für Handfeuerwaffen und Gewehre wieder nach oben geschnellt. Vor allem koreanische Ladenbesitzer haben sich Waffenlager zugelegt und eigene bewaffnete Wachtruppen gegründet. Universitäten, größere Firmen sowie die Filmstudios haben den Wachschutz verstärkt und Evakuierungspläne durchexerziert.
Die Polizei von Los Angeles, der nach dem Gewaltausbruch im letzten Jahr Unfähigkeit oder absichtliche Untätigkeit vorgeworfen wurde, läßt sich dieser Tage gerne bei Übungen zur Aufstandsbekämpfung filmen, während sich die Nationalgarde bereits mit Manövern in der Stadt präsent zeigt. Die Stadtverwaltung hat die Polizei mit weitreichenden Kompetenzen für den Fall einer Ausgangssperre ausgestattet.
Appelle an den gesunden Menschenverstand nehmen sich vor diesem Hintergrund eher hilflos aus – selbst wenn sie vom noch amtierenden Bürgermeister Tom Bradley kommen. „Laßt uns von dieser Hysterie wegkommen“, bat er öffentlich vor wenigen Tagen, doch die Verkaufszahlen in den Waffengeschäften zeigen, daß genau das Gegenteil passiert.
Spuren des Gewaltausbruchs vom letzten Jahr, Ruinen oder inzwischen brachliegende Grundstücke, sind in Los Angeles noch in vielen Häuserblocks zu sehen – vor allem in den armen Vierteln wie South Central. Der Wiederaufbau niedergebrannter Geschäfte verläuft, wenn überhaupt, nur schleppend.
Wo bleibt der Wiederaufbau?
Das liegt nicht nur an fehlendem Geld, sondern auch an der Weigerung vieler Geschäftsleute, ihr Unternehmen wieder in einem Stadtteil anzusiedeln, in dem sich die eigenen Kunden in Plünderer verwandelt haben. Mit enormem Erwartungsdruck war unmittelbar nach dem Aufstand im Mai letzten Jahres die Privatinititaive „Rebuild LA“ (RLA) unter Leitung des ehemaligen Olympia-Organisators Peter Ueberroth ins Leben gerufen worden. Doch deren Arbeit ist von internen Kleinkämpfen, der anhaltenden Rezession und dem Wissen gekennzeichnet, nur langfristig einige Tropfen auf den heißen Stein gießen zu können.
450 Millionen Dollar haben Privatfirmen inzwischen an Spenden und Investitionen verbindlich zugesagt. Doch selbst nach Auffassung der RLA sind mindestens fünf Milliarden Dollar nötig, um die Infrastruktur der armen Stadtviertel wiederauszubauen und mindestens 75.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen.
In dieser Atmosphäre überrascht es kaum noch, daß bei den bevorstehenden Bürgermeisterwahlen in zwei Wochen die lokale Version eines Ross Perot immer populärer wird. Richard Riordan, 62jähriger weißer Millionär und Republikaner, ist mit der Parole „Tough Enough To Turn L. A. Around“ (Hart genug, um in L. A. das Ruder herumzureißen) angetreten, und darf sich Chancen gegen den Favoriten der Demokraten, den 41jährigen Stadtrat Michael Woo, ausrechnen.
Riordans zentrales Wahlversprechen, mit dem er vor allem in den wohlhabenderen Stadtteilen Punkte sammelt: Er will 3.000 zusätzliche Polizisten einstellen, ohne dafür die Steuern zu erhöhen. Um die Gehälter der neuen Ordnungshüter zu finanzieren, will Riordano den städtischen Flughafen an Privatunternehmer verpachten. Andrea Böhm
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