Die Bundeswehr fliegt in den Krieg

■ Bundesverfassungsgericht segnet deutschen Awacs-Einsatz ab / Bonner Koalition befriedet

Bonn/Karlsruhe (taz) – Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe war so freundlich, in letzter Minute den österlichen Frieden in der Bonner Regierungskoalition sicherzustellen. Gleichzeitig schickte das höchste deutsche Gericht zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik deutsche Soldaten in einen militärischen Einsatz außerhalb des Nato-Gebietes. Nach anderthalb Tagen nahezu permanenter Beratung hatten die acht Richter in den roten Roben gemeinsam am Abend des Gründonnerstages um Punkt 21 Uhr verkündet, daß sie die von den Bundestagsfraktionen der SPD und FDP beantragte einstweilige Anordnung ablehnen. Sie gaben somit grünes Licht für die Beteiligung der Bundeswehr bei Awacs-Überwachungsflügen über Bosnien-Herzegowina. Bei der am Ostermontag um 14 Uhr MEZ beginnenden militärischen Durchsetzung des Flugverbots über Bosnien-Herzegowina handelt es sich um den ersten militärischen Einsatz in der 44jährigen Geschichte der Nato.

Sei es aus Übermüdung oder sei es aus Nervosität, der Gerichtsvizepräsident Ernst-Gottfried Mahrenholz vergaß zunächst zu berichten, daß die acht Richter des Zweiten Senats ihre Entscheidung mit der knappsten möglichen Mehrheit von fünf zu drei Stimmen fällten. In der Entscheidung heißt es, die Anträge auf Erlaß der einstweiligen Anordnung seien weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Sie müßten jedoch abgewiesen werden, weil bei Erlaß einer einstweiligen Anordnung der Bundesrepublik Deutschland schwere – insbesondere außenpolitische – Nachteile drohten.

Bundsaußenminister Klaus Kinkel (FDP) zeigte sich erleichtert über die Ablehnung des Antrages seiner Partei. Er befand, daß die Liberalen mit der Argumentation der Verfassungsrichter übereinstimmten. Laut FDP-Fraktionschef Hermann-Otto Solms ist nun „der Koalitionsfrieden deutlich gesichert“. Der CSU-Vorsitzende und Bundesfinanzminister Theo Waigel begrüßte die Entscheidung aus Karlsruhe ebenfalls. Die Handlungs- und Politikfähigkeit Deutschlands sei damit hergestellt.

Der parlamentarische SPD-Geschäftsführer Günter Verheugen äußerte sich hingegen zunächst enttäuscht. Jetzt gelte es, so Verheugen, eine Mehrheit im Bundestag für einen SPD-Antrag zu schaffen, mit dem die Verfassungswidrigkeit des Awacs-Einsatzes festzustellen sei. Die SPD sieht trotz der Ablehnung der einstweiligen Anordnung ihre Erfolgsaussichten für die eigentliche Verfassungsklage gegen diesen Einsatz nicht geschmälert. Verheugen begründete diese Einschätzung gestern unter anderem mit den mehrfachen Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts, daß die Entscheidung das Urteil in der Hauptsache in keiner Weise vorwegnehme und daß die Bündnispartner offiziell von der Vorläufigkeit der deutschen Beteiligung unterrichtet werden müssen.

Verheugen warnte die Regierung vor jedem weiteren Versuch, die Grenzen der Belastbarkeit des Grundgesetzes zu erproben. Gegen eine Entsendung der Bundeswehr nach Somalia ohne entsprechende verfassungsmäßige Grundlage werde die SPD mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln angehen.

Mit dem Bundeswehreinsatz erhalten auch die traditionellen Ostermärsche in vielen deutschen Städten eine zusätzliche Aktualität. Das Netzwerk Friedenskooperative hatte für die pazifistischen Manifestationen die Parole „Streitbarer Pazifismus gegen militärische Optionen“ propagiert.

In Frankreich hingegen wurde der Karlsruher Richterspruch begrüßt. Die französische Regierung hat die Entscheidung „mit Befriedigung“ aufgenommen. Frankreich befürworte, erklärte ein Sprecher des Außenministeriums gestern in Paris, „alles, was dazu beiträgt, den Druck der internationalen Gemeinschaft für eine Annahme des Vance-Owen-Planes seitens aller Beteiligten zu erhöhen“. Seiten 5, 8 und 10