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Weg oder Umweg: Das Bremer Güterverkehrszentrum

■ Seit 1985 treibt Bremen mit einer Gesamtinvestition von 500 Millionen Mark ein ehrgeiziges Projekt im Güterverkehr voran

GVZ-Herzstück Roland-UmschlagTristan Vankann

In Fritz Pundt ringen zwei Seelen. Die eine ist die des pensionierten Eisenbahners, die andere ist die des Öffentlichkeitsreferenten beim Güterverkehrszentrum (GVZ). Dann ist der Kampf entschieden. „Nein“, sagt er, „bis zu einer Distanz von 300 Kilometern hat die Bahn keine Chance.“

Gegen den LKW. Wer etwas zu transportieren hat bis zu einer Entfernung von 300 Kilometern wäre aus betriebswirtschaftlicher Sicht mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn er dafür die Bahn einspannen würde: Der LKW ist bis zu dieser Distanz einfach billiger. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) hat ausgerechnet, daß derzeit 50 bis 60 Pfennig ökologische Folgekosten auf einen LKW-Kilometer berechnet werden müßten, um die Schäden durch LKW-Verkehr volkswirtschaftlich aufzufangen. Bei einer Strecke von 100 Kilometern kämen so schon 50 bis 60 Mark mehr Transportkosten zusam

hier bitte

das Foto

mit den Gleisen

men, die derzeit noch nicht erhoben werden. Zum Vergleich: Gerade mal 16,70 Mark nimmt der Staat an Mineralölsteuer ein für einen LKW, der 100 Kilometer fährt (Verbrauch: 30 Liter Diesel). Die Bahn dagegen hat Rangierkosten und Unterhaltskosten für ihre Gleise, dazu immense Personalkosten. Außerdem orientiert sie sich an Fahrplänen und nicht an Lieferfristen für Spediteure. Auf der kurzen Strecke verhalten sich LKW und Bahn wie Hase und Igel, nur: Hier gewinnt der Hase.

Güterverkehrszentren, wie eines derzeit in Bremen entsteht, sind idealtypisch auf europäische Dimensionen zugeschnitten. GVZ: Das hat sich zu einem geradezu magischen Kürzel für die Zukunft des europäischen Transportwesens entwickelt. Nirgendwo in Europa sind die Arbeiten dazu so weit fortgeschritten wie hier in der Hansestadt. Seit 1985 werkeln die senatseigene HIBEG (Hanseatische Industrie-Beteiligungs Gesellschaft) sowie die anliegenden Spediteure über die GVZ- Entwicklungsgesellschaft (GVZE) an ihrem Projekt. Gesamtinvestitionen: 500 Millionen Mark, zur Hälfte Mittel der Wirtschaftsförderung, zur Hälfte private Investitonen: 38 Betriebe sind jetzt schon angesiedelt, die Hälfte der 200 Hektar im Niedervieland zwischen Strom und Woltmershausen sind bebaut, 2.000 Menschen arbeiten hier, etwa ein Zehntel davon sind Auszubildende. „Und für die restlichen Hektar haben wir schon jede Menge Interessenten“, sagt Pundt.

Und donnert sofort seine umweltpolitischen Trumpfkarten auf den Tisch: Die für zwei Millionen Mark gebaute „Brummi- Brause“, eine LKW-Waschanlage, die mit einem 25.000 Liter Regenwassertank versehen ist; die vorgeschriebenen Grünflächen auf dem Gelände der einzelnen Firmen (nur 80 Prozent dürfen bebaut werden); die 800 LKW-Fahrten pro Tag, die aus der Stadt gezogen werden, wenn erst das neue Frachtzentrum der Deutschen Bundesbahn im GVZ fertiggestellt ist; das gemeinsame Kühlzentrum, daß von verschiedenen Anliegern im GVZ genutzt wird genauso wie gemeinsame Lagerplätze, die sich verschiedene Speditionen teilen und so Platz sparen; und natürlich das Windrad, mit dem ein Spediteur die Energie für seine Büroräume gewinnt.

Die GVZ-Idee: Durch eine europaweite Vernetzung von Güterverkehrszentren kommt die Bahn möglichst nah an den Zielort einer Fracht. Allein 21 solcher GVZs sind in der Bundesrepublik in Bau oder Planung. Nur ein Streckenrest muß noch vom LKW abgefahren werden. So könne, behaupten Verkehrsplaner, die Güterfracht langfristig auf die Bahn umdirigiert werden. Herzstück eines jeden GVZs ist deshalb auch die KLV-Anlage. KLV steht für kombinierten Ladungsverkehr. In Bremen stehen beim Roland-Umschlag im GVZ zwei riesige Brückenkräne dafür zur Verfügung. 90 Sekunden braucht der Kran im günstigsten Fall, um einen Container vom LKW auf einen Waggon oder umgekehrt zu laden. Was die Brückenkräne nicht schaffen,

hier bitte den Stapler

und den LKW

89 Tonnen Lebendgewicht: Container-Stapler beim UmschlagFoto: Tristan Vankann

holen sich die gigantischen Mulis von den Waggons: 40 Tonnen wiegen die Greif-Monster, die die 20 und 40-Fuß-Container packen. 78 Tonnen-Gewicht liegen dann auf der Vorderachse. Wegen dieses Gewichtes mußten die Straßen beim Roland- Umschlag mit einer 20-Zentimeter dicken Betondecke unterzogen werden.

Weniger das Güterverkehrszentrum selbst als vielmehr die verkehrstechnische Anbindung haben das GVZ in Bremen zu einem Politikum noch nach der Bauentscheidung werden lassen. In Spitzenzeiten hat das GVZ 1992 bis zu 1.000 Container täglich umgeschlagen, die Zahlen gehen derzeit wieder deutlich zurück. „400 LKWs täglich“, sagt Pundt, sei der Tiefpunkt. Dabei ist schon berücksichtigt, daß jeder LKW zweimal registriert wird, beim Herein- und Herausfahren.

Unmut äußerst sich bei Spediteuren über lange Stauzeiten bei der Anfahrt zum GVZ. Die Bausenatorin hat deshalb mit Macht auf den Bau eines Teilstückes der Autobahn 281 hingewirkt, die im Bundesverkehrswegeplan jetzt zum vordringlichen Bedarf gezählt wird. Ab 1998 soll wenigstens die Verbindung zwischen dem GVZ und der Autobahn 1 hergestellt und so der innerstädtische LKW-Verkehr aus der Hansestadt verdrängt

werden. Auf der anderen Weserseite gemahnt eine verwaiste Autobahnbrücke auf dem Klöckner-Gelände auf eine mögliche Anbindung zur A 27.

Ob das die erhoffte Entlastung im innerstädtischen Verkehr bringt, ist fraglich. Eine Untersuchung des Bauressorts hat ergeben: Die LKWs. die sich auf der B 75, auf der Hafenrandstraße und auf der Neuenlander Straße stauen, fahren in erster Linie nicht das GVZ an, sondern suchen eine Abkürzung vom Hafen durch die Stadt auf die Autobahn 1. Auch der LKW- Verkehr aus dem GVZ heraus dürfte nicht die Hauptursache der täglichen Staukatastrophen sein: Nur etwa 20 Prozent der Güter, die im GVZ umgeschlagen werden, sind für die Bremer Region bestimmt, nur etwa 40 Prozent der Güter im GVZ insgesamt werden auf ein anderes Transportmedium übertragen. Der Großteil der Güter wird in den großen Lagerhallen von einem LKW auf den nächsten umgepackt.

Kritiker des Güterverkehrszentrunms monieren: Zwar hat das GVZ Bremen insgesamt 2.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Berechnet auf die Fläche aber ergibt sich gerade mal eine Auslastung von 20 Arbeitsplätzen pro Hektar. Zum Vergleich: Das Bremer Institut für Wirtschaftsforschung, bar aller

wirtschaftsfeindlicher Agitation, hat in seiner Studie „Bremerhaven 2000“ für die Seestadt eine Sollzahl von 50 Arbeitsplätzen pro Hektar für künftige Gewerbeflächen gefordert.

Ohne eine Neustrukturierung der Transportkosten für Spedition und eine Bahnreform ist das System der GVZs ein totgeborenes Kind. Bis zum Jahr 2010, so prognostiziert das Bundesverkehrsministerium, erhöht sich der LKW-Verkehr um rund 90 Prozent, eine Entwicklung, die die aktuelle Tendenz fortsetzt: Zwischen 1970 und 1990 hat sich die Zahl der LKW-Transporte von 165 Mio. Tonnen auf 437,8 Mio Tonnen fast verdreifacht, die Zahl der Eisenabahntransporte ist von 371 Mio (1970) auf 299 in 1990 gefallen.

Fritz Pundt bleibt trotz aller Bedenken Optimist. „Wenn die Staus bleiben, ändern wir eben die Abfahrtzeiten unserer Züge. Wir könnten sie beispielsweise in der Nacht losschicken, dann müßten die LKWs nicht durch die rush-hour.“ Jetzt hat sein GVZ-Herz wieder Oberwasser, mit der Hand zeigt er über den noch unbebauten Teil des GVZ- Geländes. „Laß' das erst mal zugebaut sein“, sagt er, und versprüht dabei die Euphorie des Wirtschaftsministers, der dieser Straße ins künftige GVZ-Gelände den Namen geliehen hat: Ludwig Erhard. mad

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