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Nachchlag

■ „Sladek oder Die schwarze Armee“ am Berliner Ensemble

Daß es Zeit für neue Perspektiven im Theater ist, nehmen die neuen Intendanten des Berliner Ensembles wörtlich. Kauerte man bei Palitzschs „Pericles“-Inszenierung auf Kissen im leergeräumten Parkett, so hat Fritz Marquardt den Zugang zu den angestammten Zuschauerplätzen nun völlig versperrt. Auf Plastikstühlen nimmt man auf der Bühne Platz, auf den Rängen herrschen die Schauspieler. Die Parkettreihen hat Matthias Stein mit Holzdielen überbaut, auch hier wird gespielt, und zwar „Sladek oder Die schwarze Armee“ von Ödön von Horvath.

Das Drama ist zu Zeiten der Inflation angesiedelt, also um 1923. Laut Versailler Vertrag war damals jegliche deutsche Bewaffnung untersagt, doch im Stück sammelt die weltkriegsgetränkte Aristokratie unter Billigung „maßgebender Stellen“ eine Untergrundarmee um sich, deren Feind die neue Republik ist. Aber wie das so ist, dreht sich das politische Fähnchen rasch, und die schwarze Armee wird aufgelöst. Ihr Opfer heißt Sladek. Obwohl er beständig propagiert, „selbständig denken“ zu können, versteht er die Zeichen der Zeit nicht und versäumt, sich rechtzeitig nach der jeweils neuen Decke zu strecken. Als letzter angeworben, verläßt er das sinkende Schiff auch nach allen anderen und muß für einen der von der schwarzen Armee begangenen Morde haften.

Sladek, das ist die irregeleitete Jugend – in Zeiten des wirtschaftlichen und politischen Umbruchs großgeworden, fehlen ihr Ideale und Moral. Einfältig grübelt Sladek über die eigene Existenz und integriert dabei bereitwillig alle möglichen widersprüchlichen Phrasen in sein krudes Weltbild. Wenn man ihm eine Fahne nur dicht genug vor die Nase hält, schwört er einen Eid darauf und geht jede Sackgasse bis zum Ende weiter. Sladek, das ist die tumbe Masse Mensch, die Kriege nicht macht, aber mitmacht, und in jedem Fall auf der Verliererseite steht.

Fritz Marquards Sladek ist Hans Fleischmann: ein stämmiger Bayer, der mit himmelblauen Augen im pausbackigen Bubengesicht verwundert auf sich selbst und die Welt blickt. Fleischmann mimt den bodenständigen Volltrottel überzeugend, aber um die gefährliche Labilität heutiger potentieller Rechtsradikaler mitzuspielen, hätte er weit über den Text hinausgehen müssen. Ohnehin verläßt sich Marquardt viel zu sehr auf Horvaths frühes – und in Berlin hiermit übrigens erstaufgeführtes – Drama, das die Figuren und Verhältnisse zwar ausführlich, aber eindimensional schildert. Er beschränkt sich auf eine statische Bebilderung; weiter- und tieferführende inszenatorische Einfälle ersehnt man sich vergeblich. Die hohe Künstlichkeit der Horvathschen Sprache wird durch zahlreiche Pausen zerdehnt, die Schauspieler agieren teilweise wie unter dem Einfluß starker Beruhigungsmittel.

Selbst etwas konturiertere Charaktere, wie beispielsweise Martin Seifert als Knorke, Frank Buchwald als Halef oder Axel Werner, der den Hauptmann markant verkörpert, langweilen in dieser Inszenierung letztlich, weil sie eben doch nur sagen, was im simplen Buche steht. Ein kurzes Vergnügen beschert am Ende des Abends allenfalls Nadja Engel mit ihrem Auftritt als Lotte. Sie mischt so gekonnt die zickige Unschuld und naive Verderbtheit eines – hier berlinischen – Vorstadtmädels, daß man sie gerne mal in einer anderen Horvath-Rolle sehen würde. Warum Fritz Marquardt ausgerechnet den „Sladek“ wiederbelebt hat, wurde jedoch in keiner der rund 150 Spielminuten deutlich. Petra Kohse

Weitere Vorstellungen: Bis 25. April täglich (außer 13. und 19.) jeweils 19.30 Uhr am BE, Bertolt-Brecht-Platz

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