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Larmoyanter Wahnsinn

■ Nach 200 Jahren Bühnenabstinenz wieder auf dem Spielplan: Giovanni Paisiellos Oper „Nina“

Giovanni Paisiello (1740-1816) war mit seinen über 100 Opern nicht nur in Italien einer der erfolgreichsten Theaterkomponisten seiner Zeit. Zarin Katharina II übertrug ihm die Hofkapellmeisterstelle, 1802 wurde Paisiello zum Leiter der persönlichen Kapelle Napoleons berufen. Seine Opern im neapolitanischen Stil wurden in ganz Europa mit stürmischem Beifall aufgenommen, konnten sich aber gegen die große Konkurrenz im Opernbetrieb nicht etablieren. Pergoleis „Serva Padrona“ und Rossinis „Il Barbiere Di Siviglia“ erfreuen sich auch heute wegen ihrer ariosen Virtuosität größter Beliebtheit, Paisiellos Vertonungen derselben Sujets sind lediglich Philologenfutter.

Ähnlich verhält es sich mit „Nina O Sia La Pazza Per Amore“ (Nina oder Die Liebesnärrin), 200 Jahre nach der deutschen Erstaufführung am 29. Oktober 1793 in Mannheim nun von der Regisseurin Karin Mauksch für das Gelsenkirchener Musiktheater eingerichtet. Unzeitgemäß verzichtete der Komponist und sein Librettisten- Gespann Vivetieres/Carpani/Lorenzi auf die erfolgreiche Buffa- Dramaturgie mit ihren Intrigen und Verstrickungen und exponierten statt dessen die über den vermeintlichen Tod ihres Geliebten wahnsinnig gewordene Titelfigur Nina.

Die Konzentrierung auf Nina zeigt aber, ohne es zu wollen, gerade den untheatralischen Charakter dieser Oper. Großangelegte gesprochene Dialoge kreisen um das Schicksal Ninas, das in volkstümlicher Sentimentalität vom Ensemble kommentiert wird, der düsteren Schwere mit ihren Klagemotiven stehen Canzone pastorale und deftige Hornpassagen sowie galant-tänzerische Natürlichkeit gegenüber. Eine Balance herzustellen, die zudem aus stichwortgebenden Staffagen singuläre Bindeglieder moduliert, war für Regisseurin Mauksch ein fast hoffnungsloses Unterfangen.

In einem spärlichen Bühnenbild (Roland Aeschlimann), in dem eine variable Wand die Grenze zwischen der fürstlichen Welt Ninas und der bäuerlichen zog, gab Edit Lehr eine Nina mit melancholischem Colorit und gerundeten Phrasierungen. Der Chor, der Geliebte Lindoro (Thomas Piffka), der Graf (Adalbert Waller) und die Gouvernante Susanna (Ines Krome) hingegen hinkten der dominierenden Zerrissenheit Ninas hinterher und erfüllten mit effektlosem Standard die undankbare Rolle des besorgten Fragestellers.

Dieser Oper ohne eigentliche Handlung ist, so beweist die Inszenierung, mit einer szenischen Erprobung allein nicht beizukommen. Und ob eine konzertante Aufführung für eine Paisiello-Renaissance reicht? Kaum: Lauter Gesten lyrischer Larmoyanz und die philologische Erkenntnis, daß Paisiello den Topos des Wahnsinns für Bellini und Donizetti vorbereitet hat — zu wenig für die „Entdeckung eines Opernschatzes“. Guido Fischer

„Nina“, Oper in zwei Akten von Giovanni Paisiello, Inszenierung Karin Mauksch, Bühnenbild: Roland Aeschlimann, Kostüme: Wolfgang Scharfenberger, Philharmonisches Orchester Gelsenkirchen unter der Leitung Shuya Okatsu. Weitere Aufführungen: 16., 22., 25.4., 19.30 Uhr, Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen.

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