Strahlung in Tomsk-7 bleibt geheim

Russen planen in Tomsk-7 ein Plutoniumzwischenlager mit US-Geldern / Atommeiler von Tomsk-7 versorgen angeblich auch Provinzhauptstadt Tomsk mit Fernwärme  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) – Fast eine Woche nach der Explosion einer Plutoniumfabrik in der Geheimstadt Tomsk-7 in Südsibirien ist immer noch unklar, wie es den über 100.000 Menschen in der Geheimstadt selbst geht. Der regionale Katastrophenschutz gab zwar gestern zum wiederholten Mal Entwarnung. Die Lage sei vollständig bereinigt, hieß es. Die bei der Explosion ausgetretenen Mengen an Plutonium sind nach diesen Angaben wahlweise unbedeutend oder gar nicht vorhanden. Messungen hätten eine Strahlenbelastung von 0,6 Röntgen pro Stunde ergeben. Einer solchen Belastung dürfen aber auch Beschäftigte russischer Atomanlagen nur innerhalb eines Jahres ausgesetzt sein.

Der Vorsitzende des Präsidialausschusses für Umweltschutz Alexej Jablokow warnte dagegen vor Ostern noch einmal, die Situation sei ernster als vom Staatskommittee für außerordentliche Notfälle und vom Zivilschutz dargestellt. Präsident Boris Jelzin ordnete verschärfte Kontrollen für alle militärischen und zivilen Atomanlagen an. Was in der von Eisentoren, Stacheldrahtzäunen, Scheinwerfern und bewaffnetem Wachpersonal abgeschirmten Stadt wirklich passiert, ahnt Jablokow besser als andere. Seine Frau ist erst kürzlich in der verbotenen Stadt gewesen und hat dort „rostende Schlösser und leckende Dächer“ in den Atomanlagen beschrieben.

Die Geheimhaltung der Situation in Tomsk-7 selbst hat vermutlich mit Plänen des russischen Atomministeriums zu tun, in Tomsk-7 das nationale Zwischenlager für Plutonium aus abgebauten russischen Atomwaffen einzurichten. Der US-Kongreß hat gerade 400 Millionen Dollar Hilfe für ein solches Projekt versprochen.

Derzeit geht die Produktion von frischem Plutonium in Tomsk-7 offenbar weiter. In der Geheimstadt sind nach Angaben des amerikanischen Atomwaffenexperten Richard Norris noch zwei alte Reaktoren des Tschernobyl-Typs in Betrieb – „auch wegen der Strom- und Wärmeerzeugung“, so Norris gegenüber der taz. Die Reaktoren erzeugen angeblich 40 Prozent der Wärme und des Stroms für die benachbarte Halbmillionstadt Tomsk.

In der Bundesrepublik verlangten Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) sowie die Bundestagsabgeordneten Wolfgang von Gelder (CDU) und Klaus Kübler (SPD) internationale Aktivitäten zur Verbesserung der Atomsicherheit in Osteuropa. Töpfer bot auch die Hilfe deutscher Experten an. Kübler sagte, die Außen- und Finanzminister der G7, die sich ab morgen in Tokio treffen, müßten sich mit konkreten Hilfen für Russland beschäftigen. Im vergangenen Sommer hatten sich die G7-Staaten prinzipiell auf ein 700-Millionen-Dollar-Hilfsprogramm für die maroden russischen Atomanlagen verständigt. Weil aber unklar blieb, welche West-Firmen die Aufträge bekommen sollen, ist kaum Geld nach Russland geflossen. Wie teuer die Hinterlassenschaft der Atomrüstung kommen kann, war erst Mitte Februar auch in den USA wieder deutlich geworden. Nach einem Bericht der Washington Post droht der Atommüll am US-Atomstandort Hanford (Bundesstaat Washington) sich zu verselbständigen. Und das, obwohl die Bundesregierung schon jetzt 1,3 Milliarden Dollar jährlich für Sicherheitsmaßnahmen in Handford ausgibt.