: „Ein sehr persönliches Geschäft“
Lobbygruppen in Bonn formulieren ganze Gesetzesanträge / Den 662 Abgeordneten sitzen mehr als tausend Lobbyisten gegenüber / Mandatsträger fühlen sich unter Druck ■ Aus Bonn Bernd Neubacher
Es steht im besten Fall 662 zu 1.000. Über 1.000 registrierte Lobbyisten kümmern sich in Bonn um 662 Abgeordnete. Ihre hauptberufliche Aufgabe: unter Parlamentariern, Ministerialbeamten und Pressevertretern die Botschaft ihres jeweiligen Verbandes zu verkünden. Das Spektrum dabei ist erstaunlich. Ganze drei Seiten im Bonner Telefonbuch füllen die Interessenvertretungen, die oftmals in Sichtweite vom Plenarsaal residieren: von Giganten wie dem Verband der Chemischen Industrie bis zu unbekannten Vereinen wie etwa dem „Bundesverband der Bilanzbuchhalter“ oder dem „Verein pro Traubensaft“.
Die Volksvertreter werden mit Propagandamaterial überhäuft. Ein Papierstapel von gut zwei Metern Höhe wandert allmonatlich unbesehen ins Altpapier, heißt es zum Beispiel im Abgeordnetenbüro von Klaus-Dieter Feige (Bündnis 90). „Vom Dualen System Deutschland habe ich sogar einen recycleten Koffer bekommen“, sagt Feiges sozialdemokratische Kollegin, Monika Ganseforth.
Nur ungern lassen sich die Lobbyisten in die Karten gucken. Schließlich riecht es nach Fingerei, wenn sie ihre Zielpersonen in Parlament oder Ministerien bearbeiten. So möchte man beim Verband der Chemischen Industrie die Ansprechpartner lieber nicht preisgeben. Zum einen wäre denen das nicht recht, heißt es, zum anderen betreibe man eben „ein sehr persönliches Geschäft“.
Gesetzesvorlagen direkt aus der Lobbyrunde
Gratulieren durfte sich letzten Monat die GmbH „Duales System Deutschland“ (DSD). Mit seinem Buch „Wege aus dem Wohlstandsmüll“ wollte der Vorsitzende des Umweltausschusses, Wolfgang von Geldern (CDU), eigenen Angaben zufolge „zur Versachlichung der sehr emotional geführten Debatte rund um den Grünen Punkt“ beitragen. „Bis in einzelne Formulierungen hinein“, so kritisiert die Sozialdemokratin Marion Caspers-Merk, schrieb von Geldern in der Sprache des DSD. Zitat: „Eines läßt sich schon heute sagen: Ohne die marktwirtschaftlich orientierte Leistungsbereitschaft und den Innovationswillen der deutschen Entsorgungswirtschaft wäre der rapide Aufbau des Dualen Systems nie erreicht worden.“ Das DSD kaufte einen Teil der Auflage auf und sendet nun Interessierten das Buch gerne zu; Mitglieder des Deutschen Bundestages erhielten das Werk kostenlos – sie können weitere Freiexemplare nach Belieben ordern. Sieht von Geldern, der als Vorsitzender des Umweltausschusses auch im Kuratorium des DSD sitzt, einen Interessenkonflikt? „Nein, keineswegs“, so der Christdemokrat zur taz, „Bücher schreiben ist ja wohl noch erlaubt.“
Ende Februar forderte der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) von Gelderns Rücktritt als Vorsitzender des Umweltausschusses. Auf einer Pressekonferenz hatte er von der „ökologischen Vorzüglichkeit“ von Kartonverpackungen für Frischmilch gesprochen, auf Nachfrage indes keine Zahlen aus der von ihm zitierten Studie nennen können. Das damit beauftragte Institut dementierte von Gelderns Darstellung, auch das Umweltministerium distanzierte sich von der „Vorabkommentierung“: Das Zahlenwerk wird nämlich voraussichtlich erst Anfang Mai fertiggestellt sein.
Immer wieder machen sich Politiker demonstrativ zum verlängerten Arm von Verbänden. Kürzlich präsentierten CDU und FDP im Umweltausschuß einen Änderungsantrag zum „Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz“, der gleich aus dem Fax- Gerät auf den Tisch kam. Absender: Die „Vereinigung Deutscher Elekrizitätswerke“ (VDEW) in Frankfurt. Der Gesetzesantrag betraf großzügige Ausnahmen von der Pflicht zur öffentlichen Bekanntmachung bei Bau- und Investitionsvorhaben. Klaus-Dieter Feige vom Bündnis 90 fragte sich darauf, „wer hier eigentlich die Gesetze vorbereitet“. Die Koalitionsparteien hatten es recht eilig: Binnen Minuten wurde der Gesetzentwurf „durchgepeitscht“, wie sich Michael Müller, umweltpolitischer Sprecher der Sozialdemokraten, in einem Brief an Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth beschwerte. „Wenn zwischen Vorlage eines Antrags, der außerhalb der parlamentarischen Gremien deutlich erkennbar entstanden ist, und der Abstimmung darüber nur wenige Minuten liegen, das heißt, noch nicht einmal die Zeit des Durchlesens bleibt, dann sind die Rechte der Opposition nicht mehr gewahrt.“
Letzten Freitag passierte das Gesetz den Vermittlungsausschuß – die VDEW-Passage war schon zuvor im Bundestag abgesegnet worden. „Das war schon ein großer Erfolg für uns“, gesteht VDEW- Lobbyist Gerd Lochner offen ein. „Ihr seid ja echt gut“, hätten ihm Kollegen seiner Zunft nach dem Coup gratuliert. Die Verwandlung von Volks- in Verbandsvertreter, die vorformulierte Gesetzesanträge unverändert übernehmen, ist für den gelernten Rechtsanwalt „konstruktive Kritik“. „Man darf nicht immer nur sagen, wie es nicht gemacht werden soll.“
Als Vertreter der Elekrizitätswirtschaft ist der 49jährige Lochner häufiger Gast im Wirtschafts- und Umweltministerium. Dort geht es ihm darum, Gesetze und Verordnungen bereits vor den Beratungen in Parlament und Ausschüssen verbandsfest zu machen: „Dann gehe ich zu meinen Leuten in den Ministerien und trage das vor.“ An der Pforte kann sich Lochner mittlerweile ausweisen. Während Demonstranten mit ihrem Anliegen spätestens an der Bannmeile gestoppt werden, verschaffte sich der professionelle Türöffner zwecks Umgehung lästiger Formalitäten gleich zwei Zugangsausweise. Den für das Wirtschaftsministerium veranlaßte ein dortiger Referatsleiter, ein Abgeordneter bürgte für die unerläßliche Anwesenheit Lochners im Bundestag.
Im Parlament stehen vor allem die energie- und umweltpolitischen Fraktionssprecher auf Lochners Liste, doch auch in den Ausschüssen macht er gut Wetter. Andere Parlamentarier braucht er gar erst nicht zu behelligen: „Manche, die ihren Wahlkreis nahe Frankfurt haben, lassen sich direkt bei unserer Zentrale verarzten.“ Nach sechzehn Jahren im Job umschreibt der Kämpfer für die Stromwirtschaft seine Arbeit idealistisch: „Durch Transparenz, Ehrlichkeit und Offenheit Vertrauen erwecken und informieren.“
„Die Umwelt zieht meist den kürzeren“, beschreibt Pressesprecherin Martina Krause vom BUND das Verhältnis des Umweltministeriums zum Wirtschafts- und Verkehrsressort. Ähnlich schwer hat es die BUND-Lobby im Vergleich zu der des Stromverbands. Zwar arbeiten auch die Umweltschützer im Grunde wie die Energiewirtschaft. Man nimmt Stellung zu Gesetzentwürfen, geht zu Anhörungen und parlamentarischen Abenden, lädt zu Pressekonferenzen, schreibt Briefe, telefoniert. Doch der BUND verfügt nicht annähernd über die Kapazitäten, mit denen die VDEW ihre Strippen zieht. „Wir haben halt kein Drohpotential und können im Ernstfall nicht den Abzug von Arbeitsplätzen ankündigen“, nennt Krause ein weiteres Handikap. Während die politischen Erfolge des BUND eher bescheiden seien, erfahre man in der Öffentlichkeit eine überaus positive Resonanz: „Unsere Macht ist der Vertrauensvorschuß und unsere Glaubwürdigkeit, da wir nicht eigennützig handeln.“
Meist ist unter den Lobbyisten exakt abgezirkelt, wo sich die Kontaktpflege lohnt. Schon in den siebziger Jahren stellte eine Untersuchung fest, daß Arbeitnehmer und -geber den Bundestag restlos unter sich aufteilten – 46 Prozent der Abgeordneten ließen sich von den DGB-Gewerkschaften gute Ratschläge erteilen, 63 Prozent hatten ein offenes Ohr für die Belange der Arbeitgeber. Arbeitslose haben demnach schlechte Karten. Hans Berger (SPD), Vorsitzender der IG Bergbau und Bundestagsabgeordneter, sieht das differenzierter: „Als Parlamentarier habe ich immer noch eine eigenständige Position.“ Zwar vertrete er in der Regel die Interessen seines Verbandes vor denen seiner Partei, doch „das hat die SPD ja vorher gewußt. Lobbyismus gehört zum parlamentarischen System.“
„Lobbyismus gehört zum Parlament“
Dessen ungeachtet geht laut Grundgesetz alle Staatsgewalt vom Volke aus, lediglich dem Gewissen soll der Abgeordnete unterworfen sein. Hans-Jochen Vogel, Verfassungsrechtler und Mitglied des Bundestags, bezeichnet den Einfluß von Lobbygruppen als „Problem jeder Demokratie, auch der Bundesrepublik“. Gesetzliche Maßnahmen hingegen, so Vogel zur taz, zögen nicht. Der Abgeordnete muß sich ständig fragen: Warum meinen sie dies und jenes? Das fragt sich auch Monika Ganseforth, Mitglied der Enquetekommission zur Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre. Mit Schreiben vom 23. März wandte sich ein Professor Dietrich Schwarz mit der These „Ausbau der Kernenergie – ethisch geboten!“ an die Abgeordnete. „Ich bin gerne bereit“, so der Dortmunder Diplom-Ingenieur, „Ihnen meine Sicht der Dinge noch einmal persönlich“ vorzutragen. „Den werde ich erst einmal fragen, wer ihn bezahlt“, kündigt Monika Ganseforth an. Eine Woche zuvor hatte sich Schwarz mit seinem Anliegen bereits an den Parlamentarier Wolfgang Thierse gewandt – auf Briefpapier der Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen.
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