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Starker Mann an der Spitze? Starker Spitzen-Mann?

■ Volker Kröning zur Bremer Verfassungsdiskussion / Kollegialität und Deputation ist altes Bremer Recht

Je länge und ergebnisloser die SPD-interne Debatte über die „Erneuerung“ der Partei nach dem Verlust von 12 Prozent der Stimmen und der absoluten Mehrheit im September 1991 verläuft, desto häufiger kommt die institutionelle Stärkung des Mannes an der Spitze, des Präsidenten des Senats oder „Spitzenkandidaten“ als letzte Idee auf den Tisch. Direkte Wahl des Spitzenkandidaten durch die Mitglieder der SPD, so fordert die Reformkommission des Landesvorstandes — welche Kompetenzen der Gewählte aus dieser direkten demokratischen Legitimation, die zum amerikanischen Präsidenten-Modell gehört, gegenüber den bisherigen Parteigremien gewinnen soll, bleibt in den bisherigen Überlegungen offen, da gleichzeitig die Mitsprache verstärkt werden soll. „Richtlinienkompetenz“ ist das Stichwort, das die präsidiale Legitimation konsequent in Machtbefugnisse übersetzt: der Präsident des Senats soll das Recht erhalten, „seine“ Regierung zu bestimmen und sich in Einzelfragen über Partei- und Kollegen-Voten hinwegzusetzen. Oftmals wird damit die Erwartung verbunden, daß diese Richtlinienkompetenz im Senat gleichzeitig dazu führt, daß die Partei des Bürgermeisters dann auch nur noch mit einer Stimme spricht — das Hin und Her des offenen Meinungsstreites macht eine Partei nicht attraktiv, das Volk will wissen, wo es dran ist, lautet die Philosophie dieses Reformkonzept. „Kapitänsmodell“ sagen die Kritiker dazu.

Der bremische Finanzsenator Volker Kröning hat sich als Justizsenator mit der Forderung nach „Stärkung der Stellung des Bürgermeisters“ in den Stadtstaaten auseinandergesetzt — in Berlin und in Hamburg gibt es ähnliche Debatten. Sein Vortrag vom 1.6.1987 ist in der Zeitschrift Recht und Politik (1'88) abgedruckt und heute aktuell wie damals. Kröning plädiert dafür, an der derzeitigen Kollegial-Verfassung festzuhalten: Erstens entspicht diese Einbindung des Präsidenten des Senats in das Kollegialorgan und der Senatoren in das Deputationsrecht einer jahrhunderte alten bremischen Verfassungsgeschichte, die mit den derzeitigen Reform- Vorstellungen ohne Not gebrochen würde. Zweitens — so Kröning damals — wäre die „Überforderung politischer Führung, die vielfach offenbar ist, nicht durch die Erhöhung ihrer Steuerungsmöglichkeiten zu bewältigen“.

Im Vergleich der drei Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin ist in Bremen die verfassungsrechtliche Stellung des Bürgermeisters am wenigsten herausgehoben — was oftmals „Anlaß zu staunenden Erkundigungen nach der Person des Inhabers“ war und ist. Bürgermeister hätten durch „Fähigkeit zur Integration“ und durch „das hohe Ansehen des Amtes“ ihre schwache institutionelle Stellung ausgeglichen. „Der Senat ist der Inbegriff der republikanischen Geschichte Bremens“, schreibt Kröning, „seine älteste Institution“. In vordemokratischen Zeiten wechselte das Amt des Präsidenten des Bremer Senats jährlich — es war ein Ehrenamt. Erst in diesem Jahrhundert habe es sich „verfestigt“, die Tradition sei aber nicht die monarchistische, er ist nicht der demokratisch gewählte Herrscher: Der bremische Präsident des Senats zieht seine Legitimation daraus, „Teil des Kollegiums zu sein“. In dem alten Stadtstaat Hamburg ist das genauso, nur in dem jüngeren Staatsgebilde Berlin gibt es die „Kanzlerdemokratie“.

Der bremischen Tradition entspricht es, daß die Senatoren in beispiellos enger Weise an die Deputationen gebunden sind — die Vertreter der Bürgerschaft haben damit eine „einzigartige Mitwirkung an der Verwaltung“. Der Senator ist der Dutation laufend zur Rechenschaft verpflichtet, er handelt — das ist ungeschriebene Verfassungswirklichkeit — nicht gegen Deputationsbeschlüsse. „Ein Kernbestand der politischen Beteiligung der gewählten und aktiven Bürger Bremens“, urteilt Kröning, der nicht zu halten wäre, wenn die Senatoren vom Präsidenten eingesetzt und damit vor allem ihm gegenüber Rechenschaftspflichtig wären. Nach heutigem Recht ist ein Senator de jure nicht einmal einsetzbar — nur der Bürgerschaft steht dieses Recht zu. Kröning: „Die Bremer Verfassung kennt kein Relikt der konstitutionellen Monarchie im Gewande der Kanzlerdemokratie, sondern ist eher am Vorbild bürgerlicher Selbstverwaltung orientiert.“

Wenn das so ist, bleibt die andere Frage, ob ein Bruch der bremischen Verfassungstradition politische Strukturprobleme lösen würde. Kröning zweifelt daran: „Hat der Regierungschef keine Führungsstatur, nützt ihm die Richtlinienkomptenz nichts, hat er sie, so braucht er sie nicht.“ Die formellen Rechte, so argumentiert Kröning, hilft schwachen Ministerpräsidenten in anderen Bundesländern auch nicht — „das in jeder modernen Regierung erforderliche Zusammenwirken kommt nicht durch Subordination, sondern durch gegenseitige Beratung und Loyalität zustande“. Ein starker Bremer Bürgermeister, so Kröning, wird es mit „Einfühlungsvermögen und Verhandlungsgeschick“ immer erreichen, daß seine politischen Anhänger folgen: „Führung und kollegiale Leitung schließen sich nicht aus.“

Kröning geht noch einen Schritt weiter: Er sieht „Vorteile“ in der Verfassung der Stadtstaaten in der Stellung des Regierungschefs und im gesamten Gefüge der Regierung: Wenn die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung und gerade auch in SPD-Wählerschichten eine Reaktion auf die „Überforderung politischer Führung“ ist, so Kröning schon 1987, dann ist diese Krise der Politik „offenbar nicht durch eine Erweiterung der Steuerungsmöglichkeiten“ zu bewältigen, sondern macht eine „Durchforstung des staatlichen Aufgabenbestandes“ unabweisbar. Anders gesagt: Wenn eine stärkere Stellung des Regierungschefs damit verbunden ist, daß suggeriert wird, dann könnte staatliche Politik noch mehr Aufgaben un Probleme der Gesellschaft „lösen“, würde am Ende eine um so größere Enttäuschung der Wahlbürger stehen. Wer dem Eindruck entgegenwirken will, die „Zuständigkeiten für gesellschaftliche Anforderungen“ wäre immer mehr der Regierung und ihrem Chef aufzubürden, so Kröning, muß an die republikanische Bremer Verfassungstradition anknüpfen und — das wäre ein demokratischer Ausweg aus der Krise der Politik — „andere Beteiligte“ in das staatliche Handeln verantwortlich einbeziehen. K. W.

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