Spätlese: Sterilisertes Wasser
■ "Schwarzes Wasser" von Joyce Carol Oates
Die immer wieder, nämlich einmal monatlich, empfehlenswerte Zeitschrift Titanic führt in lobenswerter Unermüdlichkeit das Strafregister der CSU-Würdenträger auf Bayerns Straßen mit entenpolizeilicher Genauigkeit und unter rückhaltloser Angabe der jeweils im bösen Spiel enthaltenen Promille. Einen Fall wie Chappaquiddick jedoch hat sie noch nicht verzeichnen dürfen, und womöglich ist auf diesen Umstand die melancholisch stimmende Folgenlosigkeit dieser Registerführung zu begründen: bisher jedenfalls war auch in Titanic nicht zu lesen, daß ein stark alkoholisierter CSU-Minister mit einer jungen Dame absichtslos ins Wasser fuhr und allein sich selbst zu retten noch imstande war. Solches aber ist passiert, und zwar Senator Edward Kennedy im Jahre 1969. Joyce Carol Oates erzählt die Geschichte in ihrem Roman „Schwarzes Wasser“ nach, allerdings nicht im Reportagestil. Die Unschärfen der Literarisierung (der Verzicht auf Namensnennungen wie die elegante Wolkigkeit des Stils) haben die im Staate New York aufgewachsene und derzeit in Princeton tätige Autorin vor andernfalls vielleicht drohenden Prozessen geschützt, der Erzählung aber offenbar dennoch jene Brisanz bewahren können, die sie für Monate auf die Bestsellerlisten der USA hievte.
Da keiner unserer Politiker zu einem Skandal in dieser illustren Größenordnung in der Lage ist, wie die Kennedys und Nixons sie serienweise und ganz nebenbei produziert haben (oder kann sich jemand Kohl oder Bötsch in einem grellroten Flitzer vorstellen, eine langbeinige Schönheit neben sich, einen Martini in der steuerfreien Hand, auf dem Weg direkt in einen dunklen Nebenfluß der Elbe?), müssen wir also filmreife Affairen wie Chappaquiddick in Übersetzung zur Kenntnis nehmen und uns wieder mal freuen, daß wir uns Ehrpusseligkeiten à la Krauses Nannygate und Rita Dienstwagen Süssmuth überhaupt leisten können.
Abgesehen von diesem pädagogischen Nährwert liest sich auch dieser neue Oates genauso folgenlos weg wie alle anderen (welche die Rezensentin kennt): genug Kunst, um das anspruchsvolle Über-Ich zu beruhigen, genügend Erzählung, um weiterzulesen, hinreichend Glätte, um kaum Erinnerung zu hinterlassen. Alles ist wohlgelungen und durchdacht (sogar die p.-c.-Perspektive, die nicht den prominenten Täter, sondern das beinahe namenlose, von der Geschichte vergessene weibliche Opfer zum Mittelpunkt der Erzählung macht) — aber die sterile Tadellosigkeit, die sich da mitteilt, verunmöglicht auch jede größere Erregung, literarisch wie moralisch. Just a new novel by Joyce Carol Oates.
Joyce Carol Oates: „Schwarzes Wasser“. Aus dem Amerikanischen von Rüdiger Hipp. DVA, geb., 142 Seiten.
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