: Dasa: Blindflug mit zehn Unbekannten
Dreistellige Millionenverluste zieren die Bilanz der Deutschen Aerospace / Bis Ende 1994 werden mindestens 7.500 Stellen bei dem Luft-, Raumfahrt- und Rüstungskonzern gestrichen ■ Von Erwin Single
Berlin (taz) – Nach außen ist alles klar: der Vorstand der Deutschen Aerospace (Dasa) hat die Navigationssysteme des zum Daimler-Benz-Imperium gehörenden Luft-, Raumfahrt- und Rüstungskonzerns selbst im Blindflug voll unter Kontrolle. Trotz des extrem schwierigen Umfelds mit all seinen Turbulenzen verkündete Commander Jürgen E. Schrempp bei der Vorlage der Jahresbilanz 1992, daß sich die Dasa nicht vom Kurs abbringen lasse. Dramatisch verschlechterte Aussichten bei den Rüstungsgeschäften, reihenweise wie Seifenblasen geplatze Space- Odysse-Träume und zu guter Letzt auch noch eine tiefe Rezession in der Zivilluftfahrt – wer mag es da dem notorisch optimistischen Daimler-Hoffnungsträger verdenken, daß er sich selbst und seiner Crew Mut macht. Wer wie Schrempp laufend mit fünf Gleichungen und zehn Unbekannten kalkulieren muß, dem bleibt nur eines übrig: Augen zu und durchstarten. Spätestens ab 1995, so glaubt der Koordinator diverser Luftaktivitäten, könne die Dasa einen „dauerhaft positiven Beitrag“ zum Daimler-Ergebnis leisten.
Im Konzern ist aber keineswegs alles klar. Die Zeit der Visionen ist vorbei, dem Unternehmen Dasa droht die Bruchlandung. Zwar konnte der Umsatz, um Strukturveränderungen bereinigt, im letzten Jahr um drei Prozent auf 17,28 Milliarden Mark zulegen. Doch nach einem Überschuß von 50 Millionen im Jahr 1991 färbt ein Verlust von 341 Millionen Mark die Bilanz 1992 mehr als tiefrot. Die Konsequenz: Der bereits eingeleitete Schrumpfkurs geht vehement weiter; bis Ende 1994 will die Dasa rund 7.500 Arbeitsplätze abbauen – vorwiegend im Rüstungsbereich. Doch daß es angesichts der katastrophalen Auftragslage dabei bleibt, glauben nicht einmal mehr die Betriebsräte.
Vor allem die Kritiker des Daimler-Einstiegs in das Rüstungsgeschäft können sich bestätigt fühlen. Nicht ohne Schadenfreude verweisen sie heute darauf, wie falsch der riskante Kurs war, den andere Autohersteller wie Ford oder General Motors längst verlassen hatten. Die Zahlen geben ihnen recht: Auf den einstmals vermeintlich krisensicheren Bereich Wehrtechnik entfielen 1992, bedingt durch die Budgetkürzungen im Bundeshaushalt, nur noch 2,4 Milliarden Mark – Tendenz fallend. Hinzu kommen noch einmal knapp vier Milliarden Mark aus dem militärischen Luftfahrtbereich. Im Jahr zuvor steuerten Rüstungsaufträge immerhin noch die Hälfte zum Dasa-Gesamtumsatz bei. Selbst Daimler-Lenker Edzard Reuter hat sich angesichts der Jäger-90-Pleite vom weitblickenden Vordenker der deutschen Industrie zu einem dünnhäutigen Lobbyisten gewandelt, der kaum eine Gelegenheit ausläßt, die Bonner Sparpolitik in Sachen Verteidigung als völlig konzeptionslos zu beklagen.
Da auch die hochfliegenden Raumfahrtpläne aus chronischem Geldmangel von der Bundesregierung zusammengestutzt werden, bleiben bei der Dasa nicht nur die Aufträge aus, sondern auch die technologischen Synergieeffekte, die sie sich aus den Milliardenprojekten erhofft hatten. Der von Reuter und Schrempp eingeleitete Diversifikationskurs, die Autofirma mit Raketen, Flugzeugen, Triebwerken und jede Menge Elektronik zum integrierten Technologiekonzern aufzuwerten, entpuppt sich immer mehr als gigantisches Windei. Da helfen selbst keine zivilen Märkte mehr.
Daß aus der Dasa noch kein Gerippe geworden ist, ist einzig dem Luftfahrtbereich samt Triebwerksausbau und vor allem der inzwischen eingegliederten Deutschen Airbus zu verdanken. Knapp die Hälfte des Dasa-Umsatzes entfällt auf das breitgefächerte Fliegersortiment, zwei Drittel davon trägt der zivile Flugzeugbau bei. Am Dasa-Auftragsbestand von rund 35,8 Milliarden Mark macht der Airbus-Anteil inzwischen ein Drittel aus. Aber auch hier steckt der Teufel im Detail: Gewinne wirft der zivile Flugzeugbau noch so gut wie keine ab. Außerdem sinkt der Auftragseingang rapide ab, weil sich die Airlines mit ihrem Preiskrieg gegenseitig den Garaus machen. Konnte das Airbus-Konsortium 1992 noch 136 Bestellungen verbuchen, wurden 70 Prozent der Orders bereits im selben Jahr wieder storniert. Von sprudelnden Geldquellen also keine Spur. Und wer wie die Dasa nichts zu verkaufen hat, gleichzeitig aber abbauen und weiter großkaufen muß, um einen kompletten Flugzeugkonzern zusammenzubasteln, der kann schnell in Liquiditätsengpässe geraten. Noch schwimmt der Daimler-Konzern im Geld, doch die Milliardenerträge der Melkkuh Mercedes schrumpfen bedrohlich zusammen. Nicht zuletzt deshalb dürften die Daimler-Vorständler mit Freude vernommen haben, daß der Einstieg beim niederländischen Flugzeughersteller Fokker sie nur 400 Millionen Mark kosten wird. Damit haben sie aber ein neues Problem am Hals: Wie die widerspenstigen Dornier-Erben dürfte auch die Regierung in Den Haag noch manches Veto einlegen.
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