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Abgeordnete auf steinigen Wegen

■ Das Abgeordnetenhaus zieht in den Preußischen Landtag um / CDU-Mann unter "Schock", Grüne grinsen hämisch, SPDler vermissen Schöneberger Wochenmarkt

Berlin. Seit Wochen waren alle Abgeordneten von dem Wunsch beseelt, den Bonner Kollegen zu zeigen, daß ein Parlamentarier auch in einem Provisorium leben kann, wenn er nur den politischen Willen dazu hat. Und so schlug das Abgeordnetenhaus noch im März den guten Rat des Bündnis 90/ Grüne in den Wind, mit dem Umzug in den Preußischen Landtag doch zu warten, bis die Bauarbeiter das Feld freiwillig verlassen. Nein, es drängte nicht nur der Wille, den Bonnern ein Beispiel zu sein und dem Osten ein bißchen näher zu ziehen, es stand zudem ein fast historisches Datum an, das einzuhalten zumindest der CDU- Fraktion Verpflichtung war. Gestern feierte Hanna-Renate Laurien, Präsidentin des Abgeordnetenhauses, ehemaliges Bundesvorstandsmitglied der CDU und Vorsitzende des Diözesenrats der Katholischen Kirche von Berlin – um nur einige ihrer Ämter zu nennen – ihren 65. Geburtstag. Ihr zu Ehren gibt das Abgeordnetenhaus am 26.April seine Abschiedsvorstellung im Rathaus Schöneberg, um zwei Tage später das neue Domizil in einem Festakt einzuweihen. Weil die Termine drängten, war in den letzten Tagen eine für Abgeordnete ungewöhnliche Eile geboten, wurden annähernd 3.000 Kartons gepackt, Stühle und Schreibtische gestapelt und politische Altlasten aktenweise im Papiercontainer entsorgt. Die CDU-Fraktion bildete am Dienstag die Umzugs- Vorhut und hatte prompt das Nachsehen. Denn die Wege in ihre neuen Räume im Preußischen Landtag waren steinig – Teppiche fehlten –, und Kabel hingen noch aus der Wand. Der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Dieter Hapel, fand sich „nach einem Schock“ mit der Lage ab. Die Hiobsschilderungen ereilten die in Schöneberg zurückgebliebenen Fraktionen, lösten beim Bündnis 90/ Grüne klammheimliche Häme aus und bei den Sozialdemokraten bedenkliche Gesichter. Doch der Sprecher der SPD-Fraktion, Peter Stadtmüller, betrachtete den Umzug auch aus einem anderen Grund mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Zukünftig muß er auf die Einkäufe auf dem Schöneberger Wochenmarkt verzichten.

Doch der SPD-Mann tröstete sich mit der Einsicht in die historischen Notwendigkeiten: Der Umzug nach Berlin-Mitte sei die richtige Entscheidung gewesen. Zwei Tage nach der CDU, am gestrigen Nachmittag, bezog die sozialdemokratische Vorhut ihren Teil der Baustelle. Mit hängender Miene betrachtete sie das Chaos und wartete auf ihre Umzugskartons, die den Weg noch nicht gefunden hatten. Das mag seinen Grund wohl darin gehabt haben, daß die SPD die Niederkirchnerstraße zu ihrer neuen Adresse erkoren hat, während die CDU, um den Namen der Kommunistin zu vermeiden, sich im „Preußischer Landtag, 1020 Berlin-Mitte“ wähnt.

Hierarchie an Farbe der Teppiche zu erkennen

Die Christdemokraten folgen damit einer Vorgabe Lauriens, die zudem selbstbewußt am Gebäude ein Türschild mit der Aufschrift „Der Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin“ anbringen ließ. Solchermaßen zum Hausherren erhoben, befindet sich die Parlamentsverwaltung seit Tagen und Wochen auf einer leidenschaftlichen Suche nach dem passenden innenarchitektonischen Ausdruck ihrer eigenen Hierarchie. Zukünftig wird man die Residenz eines Abteilungsleiters bereits an Form und Farbe der Teppiche und Tapeten von der seines Stellvertreters und dessen wiederum von der des gemeinen parlamentarischen Fußvolkes unterscheiden können.

PDS Wand an Wand mit der CDU-Pressestelle

Daß das Berliner Treiben einen nachhaltigen Eindruck in Bonn hinterläßt, wird zumindest von den Mitgliedern des Bündnis 90/Grüne bezweifelt. Den ganzen Schlamassel, so findet Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Wachsmuth, hätte man sich sparen können, wenn man seiner Anregung folgend bis Pfingsten gewartet hätte. Doch mit dieser Haltung hatte er alleine dagestanden, und so tröstet er sich damit, daß es bei den Fraktionen, die am lautesten für den Umzug getrommelt haben, am schlimmsten aussieht. Hingegen seien die Räume, die seine Fraktion heute bezieht, fertig. Alle Parteien werden mehr Platz erhalten und, bis auf die PDS, ein repräsentatives Eckzimmer im dritten Stock beziehen. Dieses ist den jeweiligen Fraktionsvorsitzenden vorbehalten, jedoch nicht beim Bündnis 90/ Grüne. „Da wir offiziell keine Hierarchie haben“, so Wachsmuth, wurde Fraktionschef Wolfgang Wieland in ein normales Mitarbeiterzimmer verbannt, die Eckaussicht genießen nun die stadtentwicklungspolitischen Sprecher der Fraktion, denn „die brauchen Rundblick“. Die PDS kann sich über ihre räumliche Mittellage mit dem zweifelhaften Vergnügen hinwegtrösten, zukünftig mit der CDU-Pressestelle Wand an Wand zu liegen.

Die Bewegungsfreiheit der Parlamentarier wird sich noch vergrößern, wenn ihre Zahl, mit Beginn der nächsten Legislaturperiode, um 80 bis 90 sinken wird. Dann wird das Ambiente so angenehm sein, so Wachsmuths Befürchtung, daß die Neigung, bei einer Fusion mit dem Land Brandenburg nach Postdam zu ziehen, erheblich nachlassen wird. Während der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Helmut Fechner, gegen einen solchen Trend preußisch diszipliniert anargumentiert, hat CDU- Mann Hapel bereits „Praktikabilitäts- und Kostengründe“ entdeckt, die für einen langfristigen Verbleib im Preußischen Landtag sprechen. Denn in Potsdam müßte ein Parlamentsbau erst neu errichtet werden, und da können die Berliner mit Sachkunde auf die 160 Millionen Mark verweisen, die die gerade abgeschlossenen Renovierungsarbeiten am eigenen Domizil gekostet haben. Dieter Rulff

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