: Mehr Gesundheit für Junkies
■ Tiergarten fördert Umorientierung in der Drogenpolitik / Gesundheitsstadträtin wirft Senatsverwaltung Passivität vor
Tiergarten. Vier bis zehn Frauen, die auf dem Straßenstrich in der Kurfürstenstraße anschaffen, besuchen zweimal in der Woche die Abendsprechstunde in der Kurmärkischen Straße. In einem Behandlungszimmer und einem Büro können sie Spritzen tauschen, sich untersuchen und beraten lassen. Kleinere Wunden, Kopfläuse oder Abszesse werden gleich behandelt. „Unser Traum wäre eine kleine Ambulanz, die weitergehende Behandlungen ermöglichte“, sagt Ärztin Marianne Rademacher. Die Frauen faßten zu der nahegelegenen Einrichtung größeres Vertrauen als zu anderen Ärzten.
Dieses Angebot sei ein Schritt, den Forderungen der Drogenkonferenz Tiergarten nachzukommen, sagte Gesundheitsstadträtin Sabine Nitz-Spatz (AL), die gestern den Bericht der Konferenz vorstellte. Vor einem Jahr hatte die Drogenkonferenz Gesundheitsförderung als erstes Ziel der Drogenpolitik eingefordert. Hilfe und Beratung Drogenabhängiger sollten verstärkt auf Freiwilligkeit setzen und die Veränderung der Lebensverhältnisse in den Vordergrund stellen. Vor allem seien die Ausweitung des Substitutionsprogramms, bessere medizinische Versorgung und mehr Übernachtungsmöglichkeiten notwendig.
In Tiergarten ist die Drogenproblematik vor allem auf der offenenen Szene und dem Drogenstrich in Tiergarten-Süd sowie in den Haftanstalten Moabit und Plötzensee akut. „Die Kooperation zwischen behördlichen Anlaufstellen der Drogenhilfe und freien Trägern im Bezirk ist seit der Konferenz intensiviert worden“, so Nitz- Spatz. Die Mittwochsinitiative der Zwölf-Apostel-Gemeinde und Fixpunkt e.V. bemühe sich um eine Verständigung zwischen Junkies und Anwohnern. Für den Spritzentausch habe man neue Angebote geschaffen. Auch das Gesundheitsmobil, ein Kooperationsprojekt der Senatsverwaltung für Gesundheit, der Ärztekammer und Fixpunkt e.V., steht zweimal in der Woche in der Kurfürstenstraße. Weiterhin seien Gesundheitsräume notwendig. „Die sollen nicht nur Beratung und ärztliche Betreuung anbieten, sondern auch hygienische Konsumbedingungen ermöglichen.“
Der Jugendsenatsverwaltung warf Nitz-Spatz „Paralyse in der Drogenpolitik“ vor. Trotz der Ankündigung von Jugendsenator Thomas Krüger (SPD) sei das Substitutionsprogramm nicht auf 1.300, sondern nur auf 650 Abhängige erweitert worden. Die Übernahme von Substituierten in die Einzelfallhilfe sei immer noch nicht geregelt. Obwohl alle Gesundheitsverantwortlichen dafür einträten, komme die Spritzenvergabe in Haftanstalten nicht voran. Corinna Raupach
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen