■ Im Fall Andreotti leisten sich die Ermittler Pfuscharbeit
: Italiens Honecker

Es fällt nicht leicht, sich zugunsten eines Politikers zu äußern, gegen den man jahrzehntelang angeschrieben hat und der mit Sicherheit mehr Dreck am Stecken hat als die meisten seiner Kollegen.

Doch da ist nichts zu machen: die Genugtuung, daß es den durchtriebensten und schillerndsten aller italienischen Politiker nun endlich auch erwischen soll und so das alte Mühlen-Sprichwort doch noch in Erfüllung gehen könnte, ist längst zerstoben. Denn solchen Pfusch, wie sich die palermitanischen Ermittler leisten, kann man nur noch mit dem Begriff abgrundtiefer Naivität, Dummheit – oder auf Freispruch zielender Strategie belegen. Würden wir den seit Januar federführenden Generalstaatsanwalt Giancarlo Caselli nicht als durch und durch integren Juristen kennen, läge nichts näher, als die letztere Version zu unterstellen.

Da reicht es den Ermittlern nicht, daß ihnen allerlei Zeugen von Andreottis Wirken zugunsten der Mafia erzählen und das mit Sicherheit für die Einleitung des Verfahrens reicht. Nein, sie müssen, bevor die Immunität aufgehoben wird, noch weiter ermitteln. Das aber ist ein so schwerer Verfahrensverstoß, daß die seither eingeholten Aussagen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr verwertet werden dürfen – gerade diese Aussagen aber bezogen sich auf die Verantwortlichkeit oder Mit-Verantwortlichkeit Andreottis für mehrere politische Morde. Da entgeht ihnen im Eifer der Verfolgung, daß sie in ihre Anklagen auch Vorgänge aufnehmen, die ihnen schon aus territorialer Kompetenz nicht zustehen – Grund dafür, nun auch die zuständigen römischen Kollegen in ihrer Ermittlungsmöglichkeit einzuschränken. Und da lasten sie dem Politiker an, er habe während seiner Zeit als Ministerpräsident wirkungsvolle Maßnahmen gegen die Mafia blockiert – ohne zu bedenken, daß der Regierungschef in Italien nicht wie in Deutschland Richtlinienkompetenz besitzt, sondern daß der Ministerrat entscheidet und für juristische Maßnahmen ausnahmslos der Justizminister zuständig ist (ein Amt, das Andreotti nie bekleidet hat).

Trotzdem wird die Immunität Andreottis wohl aufgehoben werden, allein schon aus Angst der Senatoren, bei einer Verweigerung vom lynchlüsternen Volk gesteinigt zu werden. Doch der Prozeß droht schon von vornherein zu einer Farce à la Honecker zu werden: Andreotti ist heute 74 Jahre alt, Verfahren ziehen sich in Italien bis zur Rechtskraft acht bis zehn Jahre hin (und auch das nur, wenn alles mit drei Instanzen abgeht und das Oberste Gericht nicht neue Prozesse für die Schwurgerichte anordnet) – bei einem abschließenden Urteil ist der Mann dann fast Mitte achtzig und wohl kaum mehr einzusperren.

Gottes Mühlen, wenn es sie denn gibt, haben in jedem Fall zu langsam gemahlen. Werner Raith, Rom