: Berlin im Anti-Olympia-Fieber
Zwei Tage vor der Großdemonstration gegen die Olympiabewerbung läuft ein mediales Vorprogramm, inszeniert von militanten Gegnern, reaktionärer Presse und aufgeregter Politik ■ Aus Berlin Severin Weiland
Es gibt nichts, worin die Gegner und Befürworter der olympischen Spiele in Berlin übereinstimmen. Nur in einem einzigen Punkt herrschte in den letzten Tagen zwischen beiden Lagern überraschend Konsens: Bei den Teilnehmerzahlen für die Großdemonstration, die an diesem Sonntag durch die Hauptstadt ziehen wird. Zehntausend, so ließen Polizei und die Berliner Anti-Olympia-Koordination verlauten, würden ihren Protest gegen die Spiele auf die Straße tragen. Die Demonstration, unterstützt von der PDS, den Grünen, der Abgeordnetenfraktion Bündnis 90/Grüne und diversen anderen linken und alternativen Gruppierungen, stellt den Höhepunkt der bisherigen Anti-Olympia-Kampagne dar. Unmittelbarer Anlaß ist der Besuch einer elfköpfigen Prüfungskommission des Internationalen Olympischen Komitees, das sich von Samstag bis Mittwoch über den Stand der Bewerbung informieren lassen wird. Nicht zuletzt von ihrem Eindruck wird es abhängen, ob Berlin am 23. September den Zuschlag erhält – oder die aussichtsreichsten Mitkonkurrenten Sydney und Peking.
Das Vorprogramm läutete in den letzten Tagen jedoch der militante Untergrund ein. Was Staats- und Verfassungsschützer seit Wochen befürchtet hatten, erfüllte sich in der Nacht zum Mittwoch in zwei Kaufhäusern: Bei Hertie und im renommierten KaDeWe gingen Brandsätze hoch und richteten zum Teil erheblichen Schaden an. Verantwortlich zeichnete in beiden Fällen ein „Kommando Axel Nawrocki“ – in ironischer Anspielung an den gleichlautenden Namen des Chefs der Berliner Olympia-GmbH.
Während sich die Berliner eher an den ersten Sonnenstrahlen erfreuen, sehen Springer-Presse und Senat in den nächsten Tagen schon den Bürgerkrieg heraufziehen. Die BZ, größtes Boulevardblatt vor Ort und Kampfblatt des Springer- Konzerns, machte aus den Brandsätzen gleich einen „Bomben-Terror gegen uns alle“. Nicht minder aufgeregt zeigte sich auch die herrschende Politik. Allen voran die Innenverwaltung von CDU-Senator Dieter Heckelmann schlug harte Töne an: Sein Staatssekretär Eike Lancelle ließ – noch bevor sich die Täter am Mittwoch in Anrufen bei Krankenhäusern der Brandanschläge bezichtigt hatten – eine Erklärung verschicken, in der die Anti-Olympia-Bewegung zum geistigen Ziehvater der Attentäter abgestempelt wurde. Teile der Politik und „bestimmte Medien“, so Lancelle, verharmlosten die Anti-Olympia-Bewegung und leisteten einem Abgleiten in die Kriminalität Vorschub. Seine harschen Angriffe galten vor allem der Abgeordneten Judith Demba, die als sportpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Grüne im Berliner Abgeordnetenhaus mit einem umstrittenen Olympia-Video für Furore gesorgt hatte und sich nunmehr einem zweifelhaften, aber nicht zu übersehenden Bekanntheitsgrad erfreuen darf. Von dem Streifen, als Präsent für die IOC-Mitglieder gedacht und mit Szenen aus früheren Berliner Straßenkämpfen versehen, ortete der Staatssekretär den Beginn einer Lunte, die direkt in die beiden Berliner Kaufhäuser führte. O-Ton: „Nunmehr geht die Saat auf, die durch den schändlichen Anti- Olympia-Film der Abgeordneten Demba gesät wurde.“
Wie nervös die offiziellen Stellen reagieren, zeigt auch ein anderer Vorfall: Ein der taz anonym zugespieltes Fernschreiben des Staatsschutzes, das in der vergangenen Woche an sämtliche Polizeidienststellen ging, belegte, daß 217 angebliche Olympia-Gegner im „Informationssystem für Verbrechensbekämpfung“ gespeichert wurden. Schon Mitte März war beim Staatsschutz eine eigene Ermittlungsgruppe Olympia gebildet worden, hatte zudem ein Dezernat der Staatsanwaltschaft dafür gesorgt, drei militante Olympia-Gegner, die Steine in eine Bankfiliale geworfen hatten, zwei Wochen lang in Untersuchungshaft zu halten. Höhepunkt der staatsanwaltlichen Umtriebe war nicht zuletzt ein großangelegter Polizeieinsatz gegen ein besetzten Haus im Bezirk Friedrichshain, weil daraus ein Transparent mit der Aufschrift „Bonzen angreifen“ flatterte.
Ob solcher Art Drohungen, die Demonstration oder gar die Anschläge militanter Olympia-Gegner die ehrgeizige Bewerbung der Stadt überhaupt verhindern werden, scheint mehr als zweifelhaft. Denn die IOC-Mitglieder, unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen abgeschirmt, werden von den Ereignissen wenig mitbekommen. Eher versperrt sich die Stadt mit ihrer bisherigen, auch unter vielen Olympia-Anhängern als dilettantisch angesehenen Konzeption, die Tür. Selbst das Schicksal des als Kernstück der Bewerbung betitelten Olympia-Expresses, der die Hauptkampfstätten verbinden und Funktionäre wie Sportler transportieren soll, steht noch in den Sternen. Es war nicht zuletzt der Präsident des „Nationalen Olympischen Komitees“ (NOK), Tröger, der letzte Woche neue Zweifel mit der Feststellung nährte, Senat, NOK und Olympia-GmbH hätten über eine neue Bewerbung für das Jahr 2004 nachgedacht, sollte Berlin den Zuschlag für das Jahr 2000 nicht erhalten. Der Senat dementierte zwar umgehend, einen Rückzug anvisiert zu haben. Überzeugend klang es aber nicht.
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