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Von der Amtsstube zum Bürotel

■ Neue Tendenzen in der „Humanisierung der Arbeitswelt“

DIe Arbeitswelt soll wohnlicher, aber auch gesünder und ökologischer werden: die einen denken über lösungsmittelfreie Filzstifte und Vollwertkost in der Kantine nach. Andere über Konferenzen am Büro-Tresen.

„Die kalten Ellenbogen – das war immer am unangenehmsten“, erinnert sich Albert Wilhelm. Nicht nur der Verwaltungsleiter der pfälzischen Verbandsgemeinde Waldfischbach-Burgalben ist in den Genuß einer neu eingerichteten Amtsstube gekommen. Das gesamte Verwaltungsgebäude bis hin zum Sitzungssaal wurde mit Bio-Büromöbeln ausgestattet.

Die Waldfischbacher liegen mit ihrem neuen Interieur ganz im Trend. Von Massivholz und natürlicher Formgebung, von sanfter Oberflächenbehandlung und ökologischer Verantwortung war auf der Orgatec, der großen Büromöbel-Fachmesse vergangenes Jahr in Köln, dauernd die Rede.

Neben den bekannten Anbietern von Bio-Möbeln wie Wasa, Arche oder Team 7 zeigten dort auch die Großen der Branche, daß sie durchaus können, wenn sie wollen. Allerdings: „Der Großteil der Kunden kauft schon noch Kunststoff-Tische und Spanplatten-Regale“, stellt Michael Schlenke, Marketingleiter bei Wasa klar. 85 Prozent der deutschen Möbel, weiß der Marktführer unter den Bio-Möbelherstellern, sind nach wie vor aus Spanplatten.

Doch Massivholzmöbel allein machen noch lange kein gesundes und umweltfreundliches Büro. 64 Millionen Blei- und Buntstifte, fast 230 Millionen Faser- und Filzschreiber und ebenso viele Kugelschreiber landen nach den Schätzungen des Bundesdeutschen Arbeitskreises für umweltbewußtes Management (BAUM) jährlich im Abfall. Und damit natürlich auch jede Menge unverrottbare Plastikhülsen, giftige Schwermetalle, krebsverdächtige Lösemittel. Dazu kommen massenweise Klarsichtfolien und Radiergummis aus PVC, eingetrocknete Korrekturmittel und Klebstofftuben, verbrauchte Farbbänder, ausgediente Plastikordner, hautreizende Formulare und Durchschreibepapiere sowie Tausende von Tonnen Hochglanz-Papier.

Doch es geht auch anders. Zu jedem Ex-und-hopp-Artikel gibt es mittlerweile das umwelt- und gesundheitsfreundliche Gegenstück: die lösemittelfreie Korrekturflüssigkeit, den Radiergummi aus Naturkautschuk, Textmarker als Holzstifte und Recyclingpapier für jeden Anspruch.

Öko-Büromaterialien, die es anfangs nur bei wenigen alternativen Firmen gab, haben mittlerweile auch konventionelle Hersteller im Angebot. Andere haben sich derweil auf besondere Öko-Angebote spezialisiert.

Bei Reinhard Rösler aus Ottweiler beispielsweise kann man ausgediente Farbbänder umtauschen oder neu einfärben lassen. Für seine Idee, durch die jene Menge Plastikmüll vermieden wird, bekam er sogar einen Umweltpreis. Der BAUM veranstaltet regelmäßig Seminare zum Thema „Ökologie im Büro“.

Zu jedem Ex-und-hopp-Büroartikel gibt es das Gegenstück

Jeder vierte Bundesbürger macht sich morgens auf den Weg ins Büro. An insgesamt 16 Millionen Schreibtischen wird heute geschrieben und gerechnet. Doch der vermeintlich so saubere Arbeitsplatz ist in Verruf geraten, vor allem dort, wo er mit einer mangelhaften Klimaanlage ausgestattet ist. „Früher hat mich die Klima- Fachwelt heftig angegriffen“, sagt Dr. Peter Kröling. „Heute fragt man mich oft um Rat.“

Der Arzt am Institut für Medizinische Balneologie und Klimatologie der Universität München war einer der ersten, der die vielen Büroangestellten ernst nahm, die über ständige Müdigkeit, Kopfschmerzen, Reizungen der Schleimhäute, über Konzentrationsschwäche und Neigung zu Erkältungen klagten. Kröling hat anhand vieler Studien gezeigt: „Personen, die in klimatisierten Bereichen arbeiten, leiden doppelt so häufig unter Erkältungen und Benommenheit.“

Was viele Arbeitgeber allzu schnell als mangelnde Arbeitsmoral der Belegschaft abtun, ist heute laut Kröling keine Einzelerscheinung, sondern „eine epidemiologisch relevante Problematik“. Unter dem „sick-building-syndrom“ (SBS) leiden seinen Schätzungen zufolge „mindestens eine halbe Million Arbeitnehmer“.

An Kopfschmerzen, chronischer Müdigkeit und Reizung der Atemwege muß jedoch nicht immer die Klimaanlage schuld sein. In jüngster Zeit mehren sich die Vermutungen, daß die elektrischen Geräte rund um den Arbeitsplatz, der Computer, die Schreibmaschine, der Fotokopierer, das Fax-Gerät einen regelrechten Elektrosmog verursachen. Auch der permanente Lärm, den viele Geräte machen, kann nach neuesten Erkenntnissen zu einer Störung der Gesundheit führen.

Zudem weisen Arbeitsmediziner immer öfter darauf hin, daß auch die richtige Beleuchtung am Arbeitsplatz für das Wohlbefinden entscheidend ist. Licht stimuliert lebenswichtige Funktionen im Körper. Nur selten kommt der Büromensch jedoch in den Genuß, ausreichend Tageslicht am Arbeitsplatz zu haben.

Hinzu kommen die altbekannten Bürokrankheiten wie Rückenschmerzen und Verspannungen durch falsches Sitzen oder Schmerzen durch einseitige Belastung bestimmter Muskelgruppen. Fachärzte haben die alten Leiden mit einem neuen Begriff versehen: Vom „Repetitive Strain Injury“-Syndrom (RSI) sind besonders Menschen betroffen, die stundenlang am Computer arbeiten.

Möglicherweise ist die dicke Luft im Büro ja sogar für die zunehmenden Intrigen verantwortlich, die unter dem Begriff „Mobbing“ neuerdings durch die Medien geistern. Im Waldsanatorium der ostwestfälischen Stadt Bad Lippspringe jedenfalls ist bereits die erste Station für Mobbing-Opfer eingerichtet worden.

Die Arbeitgeber entdecken den Wert gesunder Mitarbeiter

Seit dem 1. Januar dieses Jahres gilt die neue EG-Rahmenrichtlinie zum Arbeitsschutz. Sie geht über das hinaus, was bislang in Deutschland für die Gesundheit der Arbeitnehmer galt: Berufskrankheiten und -unfälle müssen nicht mehr nur vermieden, vielmehr muß die Gesundheit gefördert und so Erkrankungen vorgebeugt werden.

Ein Arbeitnehmer fehlt durchschnittlich acht Prozent von der Zeit, die er eigentlich arbeiten sollte. Umgerechnet kommt er auf eine tatsächliche Wochenarbeitszeit von nur 29,5 Stunden.

Die neueste Statistik des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen belegt: Krankheiten der Atemwege liegen mit fast 27 Prozent vorn, gefolgt von Muskel- und Skeletterkrankungen (22 Prozent). Insgesamt habe sich der in den letzten Jahren steigende Trend der Arbeitsunfähigkeiten fortgesetzt.

So haben die Arbeitgeber in den vergangenen Jahren eher zwangsläufig den Wert ihrer Mitarbeiter entdeckt. Betriebliche Gesundheitsförderung wird heute groß geschrieben. Die Blaupunktwerke in Hildesheim haben zum Beispiel eine Fünf-Minuten-Fitnesspause eingeführt. Eine Sportpädagogin zeigt Lockerungsübungen, wer will, kann mitmachen. Bei der Volkswagen AG in Wolfsburg finden Rückentrainingskurse statt, Braun bietet Yoga und Autogenes Training zur Entspannung.

Außerdem werden Aufklärungskampagnen über richtige Ernährung gemacht. Bayer oder Bertelsmann beispielsweise bieten regelmäßig Vollwert-Informationen und -Kochkurse an. In den meisten Kantinen gibt es mindestens ein Vollwertgericht – wenn sich die Resonanz „auch in Grenzen hält“, so Horst Haberzettel, Leiter der VW-Wirtschaftsbetriebe.

Durch die Initiativen der Unternehmen können jedoch allenfalls Symptome kuriert werden. Die Ursachen der Beschwerden lassen sich so leicht nicht beseitigen. Für ein gesundes Büro bedarf es eines umfassenden Konzepts, das beim Radiergummi anfängt und beim Vollholzschreibtisch noch lange nicht aufhört. Konsequent geplant ist der ökologische Arbeitsplatz, wenn selbst bei den Putzmitteln, bei der Müllsammlung oder beim Klopapier an die Umwelt gedacht wird.

Viele Betriebe spendieren sogar Job-Tickets. Damit wird unterstützt, wer etwas gegen wachsenden Autoverkehr tut und öffentliche Verkehrsmittel benutzt. Gleichzeitig erreichen die Arbeitgeber jedoch auch, daß ihre Angestellten weniger gestreßt zur Arbeit kommen.

„Eigentlich aber beginnt das Ganze schon bei der Planung des Bürogebäudes“, betont Joachim Eble. Der Tübinger Architekt, derzeit der Experte für baubiologische Projekte, spricht aus Erfahrung. Bereits vor über zehn Jahren hat er für die Büro- und Betriebsausstattungsfirma Kaiser & Kraft das erste Bio-Bürogebäude im schwäbischen Renningen gebaut.

Was damals in Baukreisen als Ausnahme skeptisch beäugt wurde, hat sich inzwischen zum Trend entwickelt. Baubiologische Großprojekte sprießen im gesamten Bundesgebiet aus dem Boden. Plötzlich ist vielerorts von Luft und Licht die Rede, von Atmosphäre und Ambiente. Es geht um natürliche Baustoffe, eine intensive Bepflanzung, um Regenwassernutzung, natürliche Klimatisierung der Räume und um eine ausgetüftelte Tageslichtlenkung.

Das erste Frankfurter Öko-Bürohaus ist ein Projekt des Tübinger Architekten Eble. Über ein gesundes Arbeitsklima freuen sich seit Herbst vergangenen Jahres auch die Mitarbeiter der Reformhaus- Fachakademie. In Oberursel entstand nach den Plänen des ebenfalls in Sachen Baubiologie engagierten Architekten Manuel Reig ein 17-Millionen-Bau, „bei dem alles stimmt, vom Blockheizkraftwerk bis hin zum Netzfreischalter“, so der Planer aus Mettman. Weniger konsequent, aber dennoch eine Innovation ist das von der Commerzbank in Frankfurt geplante erste deutsche Öko-Bürohochhaus. Der Londoner Star-Architekt Norman Forster hat unter anderem einen Dachgarten und mit Bäumen bepflanzte Zwischengeschosse eingeplant, natürliche Belüftung und viel Tageslicht.

„Mit der Baubiologie ist es gelungen, den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt des Baugeschehens zu rücken“, so Architekt Eble – eine Tatsache, die bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen so gut wie keine Rolle spielte. Wichtig waren Funktionalität und Ökonomie. Ob sich die Mitarbeiter in den standardisierten Büros auch wohl fühlten, interessierte kaum jemanden.

Anders als früher geht es den Arbeitnehmern heute nicht mehr nur um Geld und Karriere. Das BAT-Freizeitforschungsinstitut in Hamburg spricht von einem „Wertewandel“: Die Freizeit bringt die Menschen auf den Geschmack, selbstbestimmt leben und weniger entfremdet arbeiten zu wollen. Die Ansprüche an die Qualität und Humanisierung des Arbeitslebens werden größer.“

„Man muß in völlig neuen Dimensionen denken“, fordert daher Professor Bernhard Meyer, Sozialwissenschaftler an der Fachhochschule Darmstadt. Meyer, der auch als einer der ersten Büroberater in Deutschland tätig ist und Firmen bei der Planung von Arbeitsplätzen unterstützt, läßt seine Phantasie spielen: „Warum muß man immer im Sitzen schreiben, warum nicht auch an einem Stehpult mit eingebautem Bildschirm? Und weshalb werden Kunden immer zu einem Kaffee am Konferenztisch eingeladen und nicht mal an einem Tresen neben dem Schreibtisch empfangen?“ Tatsächlich wurde auf der Orgatec-Fachmesse in Köln bereits das gute alte Stehpult wiederentdeckt.

In neuen Dimensionen denkt auch Rolf Fehlbaum, Inhaber der renommierten Design-Firma Vitra: „Ich glaube, das Büro wird dann lebendig, wenn es etwas von der Wohnsprache übernimmt. Solange Arbeit sich als Gegenwelt zur Freizeit und Freiheit versteht, können Büros auch nicht leben und atmen.“

Fehlbaum hat ein Projekt ins Leben gerufen, „Office Dreams – Dream Offices“, in dem er zusammen mit namhaften Designern an Entwürfen für ein „schöneres, lustvolleres und sozialeres Büro“ arbeitet. „Wenn ich nie etwas anderes gesehen habe, als daß ein Schreibtisch ein Schreibtisch ist und in einem bestimmten Winkel zum Fenster steht, werde ich möglicherweise auch nie darauf kommen, daß es schöner sein kann, drei kleine mobile Schreibtische zu haben, an denen ich verschiedenes erledigen kann.“

Wolfgang Laubersheimer, Professor an der Kölner Fachhochschule für Design, geht noch einen Schritt weiter. Der Designer glaubt, daß es bald keinen Unterschied mehr geben wird zwischen Wohn- und Arbeitswelt: „Die Zukunft heißt Wohnen im Büro.“ Martina Arnold

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