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Armenierfeindliche Stimmungsmache

■ betr.: "Korridor nach Berg-Karabach", taz vom 6.4.93, "Armenische Offensive hält an", taz vom 7.4.93, "Brave Rekruten", taz vom 8.4.93

betr.: „Korridor nach Berg-Karabach“, taz vom 6.4.93,

„Armenische Offensive hält an“,

taz vom 7.4.93, Kommentar „Brave Rekruten“ von Ömer Erzeren, taz vom 8.4.93

Die Berichte und der Kommentar von Ömer Erzeren zu den neuen Kämpfen um Nagorny-Karabach würden jedem der in der Türkei erscheinenden Massenblätter alle Ehre machen. Auf insgesamt über einer Seite findet er gerade mal Platz für 15 Zeilen, um die Stellungnahme der Republik Armenien wiederzugeben, ihre Truppen wären an der Offensive gar nicht beteiligt gewesen. Ein wahrlich ausgewogenes Verhältnis!

Desgleichen strotzen die Artikel nur so von wahrheitswidrigen Behauptungen und Verdrehungen. So macht er kurzerhand aus dem von der Türkei behaupteten Zehntel aserbaidschanischen Territoriums, das von Armeniern besetzt sein soll, ein Fünftel. Seine Feststellung, Aserbaidschan verfüge bekanntlich ebensowenig wie Armenien über eine eigene Luftwaffe, dürfte besonders die Einwohner Stepanakerts, der Hauptstadt Nagorny-Karabachs, überraschen. Wurde ihre Stadt doch mittlerweile fast gänzlich zerstört von dieser angeblich nicht existenten Luftwaffe. Hunderte Menschen, fast ausschließlich Zivilisten, wurden dabei von international geächteten Splitterbomben getötet oder verstümmelt. [...]

Doch diese Bombenangriffe blieben von aller Welt unbeachtet, ebenso wie die „ethnische Säuberung“ und Zerstörung Dutzender armenisch besiedelter Dörfer und die ca. 60.000 armenischen Flüchtlinge innerhalb Nagorny-Karabachs, weit mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung. Keiner ihrer Appelle und Hilferufe wurde von der internationalen Staatengemeinschaft auch nur zur Kenntnis genommen.

Wer beklagte die Verletzung der territorialen Integrität Armeniens, die seit Herbst letzten Jahres ständig durch Luftangriffe der (wiederum existenten?) Luftwaffe Aserbaidschas verletzt wurde (sie forderten 1992 allein im Grenzbezeirk Goris über 100 Tote)? Oder wer verurteilte die nun schon vier Jahre anhaltende völkerrechtswidrige Blockade Armeniens durch Aserbaidschan und die Türkei, die das Land in unvorstellbare wirtschaftliche und soziale Not stürzte? Müssen es wohl erst die „richtigen“ Opfer sein, die den Weltsicherheitsrat und die KSZE zum Handeln bringen?

Wenn Ömer Erzeren sich wundert, daß die Armenier trotz aller Drangsalierungen noch den Mut finden, sich nun selbst ihrer Haut zu wehren, so kann er dahinter natürlich nur den großrussischen Satan sehen, der sich die Armenier als brave Rekruten hält, um das ach so fortschrittliche und unabhängige Aserbaidschan zu knebeln. Dabei sollte er sich daran erinnern, daß es die Armenier waren, die im Frühjahr 1988 den Anstoß zum Zerfall des Sowjetreichs gaben, indem sie zu Hunderttausenden auf die Straßen gingen. Noch vor den Balten und Georgiern erklärten sie im August 1990, ein Jahr vor dem Moskauer Putsch, ihre Unabhängigkeit, während sich die aserbaidschanische Bevölkerung noch im Mai 1991 mit 80 Prozent Zustimmung für den Fortbestand der Union aussprach.

Daß Armenien in seiner geopolitisch prekären Situation nun ein Militärbündnis mit Rußland und fünf mittelasiatischen Republiken eingegangen ist, entspringt elementarster militärischer Vernunft und wird ja seit langem auch von der Türkei praktiziert, ohne daß sie durch ihre Nato-Mitgliedschaft dabei an Souveränität eingebüßt hätte.

Daß Ömer Erzeren sich in seinem Standort Istanbul nicht von dem in der Türkei herrschenden blinden Armenierhaß freimachen kann, wäre zunächst einmal sein persönliches psychologisches Problem. Wenn er jedoch seine journalistische Tätigkeit dazu mißbraucht, diese armenierfeindliche Stimmungsmache über sein Heimatland hinaus zu tragen, so sollte er in einem Blatt, das sich zugute halten kann, ähnlichen dumpfen Strömungen in unserem eigenen Staat entgegenzuwirken, nichts verloren haben. Wer sich außerdem bis heute feige aus der historischen Verantwortung für den Genozid an 1,5 Millionen Armeniern im Osmanischen Reich stiehlt, hat jedes Recht verwirkt, sich zum Richter über die Nachfahren der Opfer aufzuschwingen. Elvira Kiendl, Gesellschaft

für bedrohte Völker,

Koordinationsgruppe Armenien

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