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Das Opfer der Gettokämpfer für Zion

■ Auf der Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Getto kam dessen umstrittene Bedeutung für die Gründung Israels zur Sprache

Berlin. Seit über vierzig Jahren ist der Jom Haschoah, der Gedenktag für die Opfer des Holocaust, eine feste Institution in Israel. Morgens um acht Uhr ertönen überall im Land die Sirenen, der gesamte Verkehr steht still, Passagiere steigen aus Bussen und Autos, Telefongespräche werden unterbrochen; für zwei Minuten bleibt das Leben stehen.

Die Bedeutungen dieses Tages für Israel sind vielfältig und kompliziert: Die staatliche Zeremonie auf dem Zionsberg in der Gedenkstätte Yad Vashem und dem Kibbuz Lohame HaGeta'o bezeugen einen religiös-politischen Zusammenhang zwischen Katastrophe und Erlösung, zwischen Exil und Heimkehr, zwischen den bewaffneten Kämpfern des Warschauer Gettos und jungen Vorkämpfern des neuen Staates – der Schoa als der raison d'etre des Staates Israel. Es liegt auf der Hand, daß diese Verbindung in Israel selbst und in der Diaspora umstritten ist, ebenso klar ist auch, daß sich diese Konstruktion der Erinnerung im Land der Täter nicht bruchlos übernehmen läßt.

Die Jüdische Gemeinde Berlins hatte gestern zum Jom Haschoah in ihr Gemeindehaus gebeten, weil sich zusammen mit dem Vorabend des Pessach-Festes auch der Aufstand im Warschauer Getto zum 50. Mal jährte. Jerzy Kanal, der Vorsitzende der Berliner Gemeinde, der selbst ab Herbst 1940 im Getto gelebt und dort seine Eltern verloren hatte, erinnerte an die Anstrengung, die es bedeutet hatte, nicht nur schlecht bewaffnet zu kämpfen, sondern auch anzukämpfen gegen das (auch innerjüdische) Stigma der Juden als der passiv Erleidenden. Er selbst hatte in den Wochen des Aufstands, als sich die SS nur noch tagsüber ins Getto traute, in einem der Bunker gehaust, die die Deutschen durch Brandbomben auszuräuchern versuchten. Er hatte dort, weil er keine Waffen besaß und sehr jung war, hauptsächlich Kurierdienste übernommen und Wache gehalten. Symbolträchtig war für ihn auch der Versuch der SS, das Getto gerade am Vorabend des Pessachfestes, also der Feier des Auszugs aus der ägyptischen Gefangenschaft und Sklaverei, zu liquidieren. Indem Kanal vom Gettoaufstand als der „Vorwegnahme des Neuen“ sprach, an dem hauptsächlich zionistische Kämpfer beteiligt gewesen waren, und zugleich an den diesjährigen 45. Jahrestag der Staatsgründung Israels erinnerte, zog auch er wieder die Verbindung, die der Yom Haschoa in Israel hat.

Um so mehr verwunderte es da, daß Mordechay Lewy, der israelische Generalkonsul, von einem Zusammenhang zwischen jüdischer, israelischer Identität und der Schoa nichts wissen wollte. Lewy bezog sich, im wohl brisantesten Redebeitrag des Tages, auf den Vorwurf der Instrumentalisierung des Holocaust für die Politik Israels, den er einem anonymen „Professor aus München“ anhängen wollte, obwohl diese Frage seit Jahren in amerikanischen und – vorsichtig noch – israelischen Publikationen diskutiert wird. Daß es noch ein Weilchen dauern wird, bis eine solche Debatte im Land der Täter geführt werden kann, braucht allerdings niemanden zu wundern.

Die Redner waren umrahmt von zwei Buketts, den Fahnen der Bundesrepublik, Israels und Berlins, ein Kammerorchester spielte unter anderem ein Konzert von Ernst Bloch, doch war die Veranstaltung nicht nur ein Staatsakt. Jerzy Kanals persönliche Erinnerung und Estrongo Nachamas Gesang, vorgetragen mit vorsichtiger Souveränität, im Gestus derjenigen, die zwischen den Vernichteten und den Nachgeborenen stehen, bewahrten den Gedenktag vor der Erstarrung. Durch die Erinnerung an den täglichen Rechtsruck wurde, was in Israel mit jedermanns Alltag aufs engste verknüpft ist, als eine Möglichkeit der gemeinsamen Erinnerung hierzulande angedeutet: in der Aufmerksamkeit für die Vorboten bedrohlicher Entwicklungen. Mariam Niroumand

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