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■ Nicaragua: Der Drang in die heile Konsumwelt der USAReisepässe zu vermieten

Managua (taz) – Der Traum jedes Nicaraguaners, einmal in Miami shopping zu gehen, die Wunder Disney-Worlds zu erleben oder die Tante in Los Angeles zu besuchen, bleibt für die meisten unerfüllbar. Denn die Eintrittskarte in diese heile Konsumwelt, das Visum der USA, ist für den Normalbürger in Zentralamerika unerreichbar. Wer nicht Vermögen, Immobilien oder die richtigen Beziehungen hat, findet keine Gnade vor den Augen der Konsulatsbeamten. Ihm bleit nur der mühsame und illegale Weg über die mexikanische Grenze. Doch im postrevolutionären Nicaragua ist nichts mehr unmöglich. Findige Geschäftemacher mit connections in der Paßbehörde, der US-Botschaft, der Migration am Flughafen und im Standesamt haben eine florierende Paßvermittlung aufgezogen. In der als Reisebüro getarnten Agentur des inzwischen festgenommenen Juan Carlos Ramos fand die Polizei Hinweise für die Fälschung von mindestens 100 Reisepässen. Für 1.000 bis 1.500 Dollar konnte man dort einen fertigen Paß samt eingestempeltem US-Visum erwerben. Das Visum allein soll für schlappe 700 Dollar zu haben gewesen sein. Unerschwinglich für die meisten. Doch auch für die schmaleren Börsen gab es eine Lösung: Für 200 Dollar wöchentlich konnte man das begehrte Reisedokument mieten. Zur Hochsaison, etwa in der Osterwoche, kletterten die Preise auch schon auf 450 Dollar. In legalen Pässen, deren Daten ungefähr mit den der Reisewilligen übereinstimmten, tauschte ein Fälschungsexperte das Foto aus, und schon konnte es losgehen. Die stolzen Paßmieter wurden als Gruppenreisende auf Exkursion getarnt und von der Agentur mit einem Begleiter nach Miami geschickt – per Bus oder auf dem Luftweg. Nach der Ankunft nahm der Aufpasser seinen Schützlingen die Pässe ab, um zu verhindern, daß einer mit dem wertvollen Dokument durchging. Wer aus privaten Gründen oder wegen der Natur seiner Geschäfte allein reisen wollte, mußte in Managua eine größere Summe als Depot hinterlegen. Die Behörden wurden auf die dunklen Geschäfte aufmerksam, nachdem die New Yorker Polizei in der Wohnung eines der im Zusammenhang mit dem Bombenanschlag auf das World Trade Center festgenommenen Arabers fünf nicaraguanische Pässe sichergestellt hatte. Seither wühlt auch das FBI im Sumpf der nicaraguanischen Korruption, der den USA schon lange ein Dorn im Auge ist. Mehrmals hatte Washington die nicaraguanischen Behörden bereits gemahnt, den illegalen Praktiken nachzuspüren. Denn allein 1992 sollen 3.000 Chinesen und 3.500 Peruaner mit nicaraguanischen Papieren in die USA eingereist sein. Mit gefälschten Geburtsurkunden, die jeder Winkeladvokat in Managua besorgen kann, kamen die Ausländer zu legalen Pässen, und die Verbindungsfrau in der Botschaft besorgte für das entsprechende Honorar das Visum. Das Reisebüro von Herrn Ramos war nicht die einzige Agentur, die in der Branche tätig war. Während die Polizei bisher nur die Festnahme mehrerer Nicaraguaner und eines Mexikaners gemeldet hat, ist unklar, bis zu welcher Ebene in den Behörden die Verstrickung reicht. Offensichtlich bis in höhere Sphären: Eine Tageszeitung veröffentlichte letzte Woche das Transkript eines Telefonats, das die Chefin der Konsularabteilung im Außenministerium mit dem Führer der Exilkubaner in Miami, Jorge Mas Canosa, führte. Die Beamtin versprach dem Anwärter auf die Nachfolge Castros nicaraguanische Visa für seine auf Kuba verbliebenen Verwandten. „Ich vertraue darauf, daß die Sache unter uns bleibt“, hieß es am Ende des Gesprächs. Ralf Leonhard

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