Nebensachen aus Kairo
: Wenn Mädchen in Ohnmacht fallen

■ Ein Massenphänomen in Ägypten löst wilde Spekulationen über die (un)möglichen Ursachen aus

Kairo (taz) – Das Ganze begann am 1. April in einer Dorfschule im nördlichen Nildelta. Farbana Hegazi, eine der Schülerinnen, bekam einen plötzlichen Schwindelanfall und heftige Kopfschmerzen. Was dann passierte, daran kann sich die Zwölfjährige nicht mehr erinnern. Im Krankenhaus aus ihrer kurzzeitigen Ohnmacht wieder aufgewacht, wurde sie untersucht und ohne Befund nach Hause geschickt. An und für sich nichts Ungewöhnliches, wären da nicht die 2.000 anderen Schülerinnen im Alter von zwölf bis siebzehn Jahren, denen es seitdem ähnlich wie Farbana erging. Immer neue dieser mysteriösen Fälle wurden in fast allen Provinzen Ägyptens registriert. Die Symptome sind immer die gleichen: heftige Kopfschmerzen, Schwindel- und Schwächeanfälle, die in einer kurzzeitigen Ohnmacht münden.

Was das Ganze besonders kurios macht, ist die Tatsache, daß sich das Phänomen über das ganze Land verbreitet hat und daß nur Mädchen in einem bestimmten Alter betroffen sind. Ärzte sagen, nichts gefunden zu haben, was auf die Ursache der Bewußtlosigkeit hindeutet. In einer Regierungserklärung hieß es, daß es sich bei dem Ganzen nur um eine Art Massenhysterie handelt. Doch der Regierung traut ohnehin niemand. Also schnappt des Volkes Phantasie über. Israelische Gasbomben, die die Mädchen unfruchtbar machen sollen, ist eine der kursierenden Theorien. Unterstrichen wird das von Aussagen einiger Mädchen, in denen sie behaupten, kurz vor der Bewußtlosigkeit den Geruch von Gas bemerkt zu haben.

Je nach ideologischer Couleur findet sich das passende Gerücht. Manche sprechen von der Möglichkeit, daß militante Islamisten in einem erneuten Terrorakt das Trinkwasser mit Drogen versetzt haben, die besonders auf Mädchen wirken – womöglich um zu zeigen, daß sie dagegen sind, daß Frauen eine Schulbildung genießen. Andere dagegen sprechen von der Strafe Gottes für das unsittliche Verhalten einiger Mädchen. Auch die Regierung bleibt nicht ungeschoren. Sie könnte etwas initiiert haben, um von einem gerade überall diskutierten Korruptionsskandal abzulenken. Auch über Umweltschäden wird spekuliert, etwa die Verwendung bestimmter Pestizide.

Hani Shukrallah, ein Mitglied der Ägyptischen Menschenrechtsorganisation, vermutet hinter dem Ganzen eher soziale als physische Gründe. Als Beispiel nennt er Kassetten von Predigten eines populären Scheichs. Frauen, die alleine, ohne einen männlichen Verwandten zur Arbeit fahren, werden darin des Ehebruchs bezichtigt. „Sie wurden dazu gebracht, daß sie sich ihres Frauseins schämen, sie leiden die üblichen Qualen des Erwachsenwerdens, sie sind eingepfercht zwischen dem Druck, in der Schule Gutes zu leisten und einer Gesellschaft, in der gute Leistung nichts wert ist. Sie sind eingezwängt in wachsende ökonomische Schwierigkeiten und einem chaotischen Erziehungssystem, das auf Auswendiglernen und teuren Nachhilfestunden basiert“, schreibt Shukrallah. Den Mädchen blieben wenig Möglichkeiten. In Ohnmacht zu fallen, so schließt er, scheint eine davon zu sein. Karim el-Gawhary