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Studienidylle in Sanssouci

An der 91 neu gegründeten Universität Potsdam gibt es kleine Seminare, aber die technischen Möglichkeiten sind noch bescheiden  ■  Von Miriam Hoffmeyer

Nach dem langen Marsch durch den Park von Sanssouci haben die wenigsten Touristen Lust, noch weiter vorzudringen und das Gelände westlich des Neuen Palais zu erforschen. Zum Glück, denn sonst wären die schmalen Pfade zwischen Immatrikulationsbüro und Mensa, Universitätsbibliothek und Audimax ständig von Neugierigen verstopft. So aber sind die Studenten der Universität Potsdam meist unter sich – in kleinen, höchstens dreistöckigen Gebäuden mitten im Grünen. Im 18. Jahrhundert dienten sie als Ställe, Küchen und Wohnungen für das Personal des Neuen Palais.

„Wir wollen eine kleine, aber feine Universität werden“, sagt der Gründungsrektor, Professor Rolf Mitzner. Mehr als 15.000 Studenten sollen es nie werden, auch nicht, wenn der Ausbau der Universität abgeschlossen ist. Im letzten Wintersemester waren 7.440 Studenten in Potsdam eingeschrieben, unterrichtet von 50 Professoren, 40 Dozenten und 500 wissenschaftlichen Mitarbeitern. Anders als an den benachbarten Berliner Massenuniversitäten, gibt es in Potsdam noch Seminare mit 20 Teilnehmern, und in den Naturwissenschaften braucht niemand auf einen Praktikumsplatz zu warten.

„Eine Art Aufbruchstimmung"

Für den Biologiestudenten Karsten Dax war das der Hauptgrund, sich für Potsdam zu bewerben: „In meinem Semester sind 19 Leute, da hat man noch Platz.“ Die tägliche anderthalbstündige Anreise aus seiner Reinickendorfer Wohnung, die er nicht aufgeben möchte, nimmt er in Kauf. „Auch weil die Dozenten hier motivierter sind, die haben noch nicht hundertmal dieselbe Vorlesung gelesen – es gibt so eine Aufbruchstimmung.“

Eine Stimmung, die jetzt schon fast zwei Jahre anhält, auch wenn die Universität Potsdam damals nicht auf der grünen Wiese angefangen hat. Eine „Brandenburgische Landeshochschule“ war schon 1948 im Neuen Palais gegründet worden.

Drei Jahre später wurde die Universität durch einen staatlich verordneten Verwaltungsakt auf die Lehrerausbildung verpflichtet und in „Pädagogische Hochschule“ umbenannt. Nach der Vereinigung nahm die Universität für kurze Zeit wieder ihren alten Namen an, bis sie im Juli 1991 von der brandenburgischen Regierung übernommen und neu gegründet wurde. „Der Lehrbetrieb ging die ganze Zeit ununterbrochen weiter“, sagt Rolf Rammelt, Pressesprecher der Universität Potsdam.

Die Dozenten allerdings wechselten: Nach der fachlichen und politischen Überprüfung der 125 Professoren der Pädagogischen Hochschule durch „Evaluierungskommissionen“ aus anderen Hochschullehrern wurden nur 43 übernommen, die meisten davon Naturwissenschaftler. Gleichzeitig erweiterte die Universität ihr Angebot enorm, unter anderem um die Fächer Jura, Volkswirtschaft und Romanistik. Im nächsten Semester sollen Studiengänge in Biochemie und Astronomie anlaufen.

Für so viele Fächer reicht der Platz am Neuen Palais natürlich nicht. Hier sind neben der Verwaltung vor allem naturwissenschaftliche Fächer und Sport untergebracht. In einem zweiten Uni- Komplex, vier Kilometer außerhalb, sind die Geisteswissenschaften untergebracht – in einer alten juristischen Hochschule für Offiziere der Staatssicherheit. Auch der „Komplex Babelsberg“ nahe der S-Bahnstation Griebnitzsee, in dem Jura und Wirtschaftswissenschaften logieren, diente der DDR als Elite-Hochschule: Hier wurden Mitarbeiter für den diplomatischen Dienst ausgebildet.

Die meisten Studenten in Potsdam kommen aus dem Land Brandenburg, aber in jedem Semester nimmt die Zahl der Studenten aus den alten Bundesländern zu. „Viele verschlägt es allerdings über die ZVS hierher, und weil ihnen hier zu wenig los ist, wechseln sie so bald wie möglich wieder weg“, erzählt Ines Runge aus Tübingen. Die Studentin der Geschichte und Geographie war im Oktober 1990 eine der ersten Studentinnen aus dem Westen, die sich nach Potsdam wagten. „An so einer kleinen Uni hat man besseren Kontakt zu den Leuten, und wenn ich mich langweile, kann ich ja nach Berlin fahren.“

Kein Kopierer am Campus

In vielen Kleinigkeiten muß die Universität Potsdam Studenten aus dem Westen befremden.Der Bus zur S-Bahn-Station fährt nur dreimal pro Stunde, die Fahrt dauert fast zwanzig Minuten. Auf dem Uni-Gelände am Neuen Palais gibt es kein einziges Fotokopiergerät und nur ein Telefon. Moderne Wohnheime sind zwar in Bau, doch teilt man sich in den alten zu zweit, manchmal zu dritt ein Zimmer. Da tröstet es auch nicht, wenn das Mensa-Essen noch unter zwei Mark kostet.

Auf der anderen Seite kommen viele Studenten aus den neuen Bundesländern mit dem neuen System nicht zurecht. „Ich habe gehört, daß man früher die Pläne nicht selbst zusammenstellen mußte“, meint die Lübbener Sport- und Geographiestudentin Mareike sehnsüchtig. Ihre Freundin Corinna aus Fürstenwalde findet die Universität zu unübersichtlich: „Früher gab es hier feste Klassen, jetzt sitzt man im Seminar und kennt da zwei Leute und soll dann ein Referat halten, also nee!“ Außerdem sind ihr die Germanistikseminare zu groß: „Da sitzen bis zu dreißig Mann drin.“ Wer in Berlin studiert hat, kann da nur müde lächeln. Die Potsdamer Idylle ist vollkommen – auch hinter Sanssouci.

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