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Fünf nach zwölf in Srebrenica

■ Widersprüchliche Meldungen über die Einhaltung des Waffenstillstands in der ostbosnischen Stadt / 500 Verletzte sollen ausgeflogen werden / UN-Sicherheitsrat beschließt schärfere Sanktionen

Sarajevo (AFP/dpa/taz) – Genau um 4.59 Uhr sollte am Sonntag der Waffenstillstand für Srebrenica in Kraft treten – doch auch nach einem Jahr Krieg kann die ostbosnische Stadt nicht mit Frieden rechnen. Nach Berichten von Funkamateuren schlugen bereits am frühen Sonntag vormittag im Stadtzentrum erneut Granaten ein; die muslimischen Verteidiger lehnten es ab, ihre Waffen niederzulegen. „Die Stadt brennt, in den Straßen fließt das Blut“, in „erbitterten Nahkämpfen wird um jeden Fußbreit Boden gekämpft“.

Mehrere Nachrichtenagenturen meldeten dagegen, daß der Waffenstillstand weitgehend eingehalten werde. Einige muslimische Soldaten würden jedoch versuchen, noch vor der Entwaffnung die serbischen Linien zu durchbrechen. Für ein Nachlassen der Kämpfe spricht, daß am Sonntag nachmittag 150 kanadische UN- Soldaten in Srebrenica eintrafen. Die Soldaten, denen noch am Vortag von serbischen Truppen die Durchfahrt verweigert worden war, sollen Waffen, Munition und anderes „Kampfmaterial“ in Verwahrung nehmen.

Die Friedenstruppen der UN haben unterdessen am Sonntag nachmittag die Luftbrücke zur Evakuierung von Verwundeten aus Srebrenica eröffnet. Am Nachmittag starteten die ersten von insgesamt acht Flugzeugen, um bis zu 500 Verletzte auszufliegen. Die Kommandanten der bosnischen Serben und der überwiegend muslimischen Regierungstruppen, Ratko Mladić und Sefer Halilović, hatten das Waffenstillstandsabkommen unter Vermittlung des UNPROFOR-Kommandanten für das frühere Jugoslawien, Lars-Eric Wahlgren, am Sonntag morgen ausgehandelt. Danach soll die Stadt spätestens bis Mittwoch „entmilitarisiertes Gebiet“ unter Aufsicht der UNO-Friedenstruppen werden. Außer den UN-Soldaten dürfen sich während der Entmilitarisierungsaktion keine bewaffneten Einheiten im Gebiet von Srebrenica aufhalten.

Die geplante Entmilitarisierung der Stadt käme nach Ansicht von Beobachtern einer Kapitulation der mehrheitlich muslimischen Verteidiger gleich. Nach Angaben des UNPROFOR-Kommandeurs in Bosnien, General Philippe Morillon, wurde die Waffenstillstandsvereinbarung aber „im Einklang mit Geist und Wortlaut“ der UN-Resolution 819 geschlossen, mit der Srebrenica am Freitag abend zu einer „sicheren Zone“ erklärt wurde.

Der UN-Sicherheitsrat beschloß am Samstag mit dreizehn Jastimmen eine Verschärfung der Sanktionen gegen Rest- Jugoslawien (UN-Resolution 820); Rußland und China enthielten sich. Die neuen Maßnahmen sollen am 26. April, einen Tag nach der geplanten Volksabstimmung in Rußland, in Kraft treten. Die Resolution sieht unter anderem eine vollständige Blockade der Lieferungen von und nach Rest-Jugoslawien auf dem Land- oder Seeweg vor. Humanitäre Hilfen sind von der Blockade ausgeschlossen. Sollten die bosnischen Serben innerhalb von neun Tagen den Friedensplan der Jugoslawien- Vermittler Cyrus Vance und Lord Owen unterzeichnen und die Kämpfe in Bosnien-Herzegowina einstellen, will der Sicherheitsrat die beschlossenen Maßnahmen nochmals überprüfen. Die Abstimmung, geplant für den 26.4., wurde auf Antrag Frankreichs wegen der andauernden Angriffe auf Srebrenica vorverlegt.

Der bosnische Präsident Alija Izetbegović und der bosnische Kroatenführer Mate Boban befahlen ihren Truppen in Zentralbosnien, alle Kampfhandlungen sofort einzustellen. Dies wurde nach einem Treffen der beiden Politiker in Zagreb mitgeteilt. Die Kämpfe zwischen kroatischen und moslemischen Soldaten gingen nach Berichten örtlicher Militärkommandeure jedoch bis Sonntag nachmittag weiter. Seiten 3 und 10

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