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Die Erinnerung bewahren-betr.: "Die Melancholie des Widerstands" (Was wird aus Ruhrgebiet und Kohlenpott?), taz vom 11.3.93

betr.: „Die Melancholie des Widerstands“ (Was wird aus Ruhrgebiet und Kohlenpott?),

taz vom 11.3.93

[...] Das Erfreuliche an dem Artikel war die nicht explizit benannte, aber doch zwischen den Zeilen vorhandene Akzeptanz dafür, daß die Welt der Arbeit, die Geschichte der Industrie, das Umfeld von Kneipe, Trinkhalle und Fußballverein überhaupt Bestandteile der Kulturgeschichte sind. Diese Einsicht ist öffentlich, in Politik und Medien, durchaus noch nicht häufig anzutreffen. [...]

Unangenehm wird der Artikel, wenn er auch noch die Welt der Arbeit im Stahlwerk von heute als Zeugen zitiert und den Abschied von dieser archaischen Welt befürchtet. Nein, wirklich, eine Führung für Journalisten durch einen der wenigen noch existierenden Betriebe kann kein Bild im Kopf entstehen lassen, das noch irgend etwas von dem beschwört, was die Artikelschreiberin in Zukunft vermissen will. Die Kultur der Arbeit mit all ihren Facetten: die unheimlich „romantisch“ glühende Stahlkulisse, die Kameradschaft vor und hinter dem Werkstor, die Freizeit bei „Taumfatter's Jupp“ und an der Theke, ja selbst die sprachlichen Überreste dieser Kultur, all das hat sich so radikal geändert, daß nur noch eine verklärte Fiktion scheinbar real in der Erinnerung existiert. [...]

Der größte Teil des Artikels stellt berechtigte Fragen nach der Bewahrung der Erinnerung an diese bereits vergangene Zeit. Aber auch diese Fragen sind eigentlich überflüssig, denn die geforderten Autoren des Abgesangs sind bereits vorhanden und Legion. Der Artikel irrt einmal nicht, wenn er sich an die „Oral History“- Literatur der siebziger Jahre erinnert. Aber, lieber Leser, da ist die Zeit auch fortgeschritten! Mittlerweile gibt es zahllose Literatur zum Thema, mal grau, mal weiß, aber auf jeden Fall „arbeiten wir dran“.

Der Knalleffekt des Schlusses des Artikels verpufft gründlich, aber heavy! „Das Bergbaumuseum in Bochum wird wohl ein Pendant in Rheinhausen bekommen.“ Schon gewußt, daß in Duisburg-Meiderich und in Hattingen seit 1985/86 komplette Hochofenwerke als Denkmal und Museum bewahrt werden? Insgesamt hält das Ruhrgebiet einen Weltspitzenplatz in der Zahl der industriellen Denkmäler und der Museen zur Geschichte der Technik und Arbeit: die „Schachtanlage Zollverein XII“ in Essen, das Rheinische und das Westfälische Industriemuseum, das Ruhrlandmuseum, die Deutsche Ausstellung Arbeitsschutz, das Hagener Freilichtmuseum, den Bergbauweg im Muttenthal oder in Wattenscheid. Beliebig verlängerbar, das Bochumer Bergwerksmuseum ist längst ein (etwas angestaubter) Einzelfall, aber wohl noch aus der Schulzeit präsent...

Belustigung rief die „Spekulation“ hervor, daß „in vielleicht schon 15 Jahren die ersten Busse mit Besuchern durch die Standorte gekarrt würden“. Das ist längst Realität, denn Stadtrundgänge und Stadtrundfahrten zum Thema sind vielerorts der Renner. „Industrietourismus“ heißt das Stichwort, die „Gesellschaft für Industriegeschichte“, der ich vorsitze, betreibt ihn, neben anderen, seit Jahren. Da fahren Oma und Opa von nebenan genauso gerne mit, wie die Oberstufe des süddeutschen Gymnasiums oder der Vorstand des japanischen Elektrokonzerns. Wir glauben fest daran, daß diese Form des sanften Tourismus, in diesem Jahr auch auf der ITB in Berlin ein Thema, auch ein positives Potential des Strukturwandels ist. Wer doch noch erleben will, wie das Ruhrgebiet einmal ausgesehen hat, der möge sich übrigens einer unserer Stadtrundfahrten nach Polen oder Rußland anschließen.

Beweiskräftigstes Indiz für den bereits zum größeren Teil stattgehabten Abschied ist das Verhalten der Menschen. Immer bei einem Abschied wendet man sich gerne um, versucht das Vergangene festzuhalten. Heute bereits kümmert man sich in vielerlei Initiativen und Vereinen um die materiellen und immateriellen Zeugen der jüngeren Kulturgeschichte des Ruhrgebiets. Es gibt auch einen runden Tisch aller dafür: das „Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher“, das in diesem Jahr zum zweiten Mal einen großen Wettbewerb zur Geschichte des Reviers veranstaltet. [...] Wolfgang Ebert, Gesellschaft

für Industriegeschichte e.V.,

Duisburg

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