: Arbeitender Wunsch nach Rückkehr
Veranstaltungswochenende „Deutschland Jugend Gewalt“ auf Kampnagel in Hamburg ■ Von Till Briegleb
Das Reden über Skinheads beinhaltet nur in äußerst seltenen Fällen Recherche oder Neugier. In Talk-Shows und Interviews ebenso wie im Schulunterricht sprechen mit Vorliebe Funktionsträger über die neue jugendliche Gewalt, die sich in ihrem Leben noch mit keiner „Glatze“ unterhalten haben. Angst oder professionelle Ignoranz, in vielen Fällen beides gemeinsam, haben dafür gesorgt, daß von den Skinheads ein derartig primitives und geschichtsloses Bild ins gesellschaftliche Bewußtsein eingegraben ist, wie noch von keiner subkulturellen Bewegung zuvor. Teds, Hippies, Punks, auf jeder aufrührerischen Jugendbewegung hat sich die Blase elterlicher Ängste mit Gewalt entleert. Aber keine dieser Subkulturen – und die Skinheads sind erst einmal eine Subkultur und nicht die Sturmabteilung des deutschen Unterbewußten – hat derartig wenige Verteidiger im meinungsmachenden Bildungsbürgertum gefunden, wie diese proletarische, britische Mode. Da sie die einzige Jugendkultur der Nachkriegszeit ist, die ihr Selbstbewußtsein fast völlig aus ihren proletarischen Wurzeln zieht, trifft sie die Segregation der bürgerlichen Selbstzufriedenheit in voller Härte. Da außerdem die Masse derer, die sich berufen fühlen, über die neue chauvinistische Gewalt öffentlich zu diskutieren – also Politiker, Journalisten und Pädagogen – die Gesetze der Subkultur nicht kennen und folglich auch nicht verstehen, verwundert es nicht, daß sie auf die Skinheads eben jene Feindbildraster anwenden, die sie diesen vorwerfen. So hat der deutsche Talk-Show-Parvenü den Skin als Allegorie brennender Asylantenheime durchgesetzt und somit wieder eine nützliche Angst-Ikone vergleichbar dem bösen Russ' oder dem hakennasigen Juden entworfen. Daß „mindestens die Hälfte der deutschen Skins entweder links oder apolitisch sind“, wie Klaus Farin nach monatelanger Recherche für sein in Kürze erscheinendes Buch „Skinheads“ unter Deutschlands knapp 8.000 Glatzen feststellte, wußte vorher niemand. Von einem Urteil hat es dennoch keinen abgehalten.
Farin war denn auch einer von unzähligen Gästen, die sich am letzten Wochenende bei dem Jugendtheatertreffen „Deutschland Jugend Gewalt“ in Hamburg einfanden, dem ersten Meeting dieser Art in Deutschland, wo Jugendtheatermacher, Musiker und Autoren das Verhältnis ihrer Kunst zum violenten Rassismus in ihrer Arbeit vorstellten und diskutierten. Eingeladen hatte das ansässige Jugendtheater auf Kampnagel (JAK), das mit seinem Skinhead- Tryptichon „Abwege – ganz normal nach Rechts“, inszeniert von Jürgen Zielinski, exakt beobachtete Momente aus der Welt der Skins ohne jede Denunziation nacherzählt hat und damit inzwischen auch außerhalb Hamburgs Erfolge feiert (zu sehen Ende des Monats beim 2. Deutschen Kinder- und Jugendtheatertreff in Berlin).
In dem viertägigen Programm wurden einige Inszenierungen gezeigt, die sich mit dem Thema Jugendgewalt oder Rassismus beschäftigen, Lesungen, Filme, Diskussionen und Gespräche bildeten das Rahmenprogramm. Auf der zentralen Veranstaltung am Samstag abend mischten sich dann Gespräche mit Ausschnitten aus den Stücken und Musikbeiträgen von Das Auge Gottes, Deep Coulored, Absolut Beginners und Slime zu einer Show, der leider das kommunikative Element völlig abging. Unter der Moderation des Radio- Wesens Catharina Felixmüller, das den fünfstündigen Abend wie eine Show von der Familien-Messe „Du und Deine Welt“ gestaltete, gab es weder Diskussionen noch Vernetzung zwischen den verschiedenen Beiträgen, sondern Häppchen- Fütterung ohne jeden kontroversen Wert.
Doch ansonsten zeigten die Inszenierungen und Veranstaltungen einen erfreulichen Trend auf, der der globalen Verdammnis durch die öffentliche Zunft entgegenarbeitet. Statt das Szepter der Moral niedersausen zu lassen, zeigte man den Willen zur Hilflosigkeit, statt an Positionen arbeitete man erst einmal an Dokumentation. Das Bemühen, die Beweggründe Jugendlicher hervorzuarbeiten, die sich Skinhead-Cliquen anschließen oder andere geächtete Wege der Selbstfindung wählen, verband alle Aufführungen und setzte sich in den Gesprächen und Diskussionen fort.
Am gelungensten stellt sich das mit Sicherheit in „Abwege“, der Produktion der Gastgeber, die hier auch gezeigt wurde, dar. In einer ersten Szene rechtfertigt sich ein Skinhead am Grab seiner Mutter für seine Glatze und seine neuen Freunde, in der zweiten Szene erklärt ein Mädchen im vollen Bewußtsein der Provokation, warum es Hitler „geil“ findet und zeigt, wie sich die Feigheit der Eltern vor den eigenen Gefühlen im Haß der Kinder gegen alles Schwache fortsetzen kann. Schließlich wird die Geschichte einer Skinhead-Band im England jener Zeit erzählt, als die „National Front“ gerade damit begann, diese für ihre Ziele zu rekrutieren. Hier wird auf einem hohen ästhetischen Niveau eben jene Geschichte rekonstruiert, vor der sich die Analyse der Ursachen von Skin-Gewalt immer herumdrückt. Es ist die Geschichte des jugendlichen Strebens nach Selbstwertgefühl in einer gedeckelten Zeit.
Mit ganz anderen Mitteln, aber ähnlich eindrucksvoll, arbeitet das carrousel Theater Berlin, das ehemalige Theater der Freundschaft Ostberlins. Ihre Dokumentarmontage „Alles beim Alten“ von Lutz Dechant und Petra Kelling leistet eigentlich journalistische Arbeit, denn sie läßt einfach Jugendliche aus Ost- und Westberlin ausführlich erzählen. Fünf Sprecher tragen in Interviews gesammeltes Material kommentarlos vor und liefern so spannende Einblicke in Denkstrukturen, die einem größtenteils keineswegs fremd sind. Plötzlich erscheint ihr „Rassismus“ als eine durch Überdruck zum Bersten gebrachte Sollbruchstelle. Offenbaren sich die Jugendlichen in ihren Aussagen doch als das schwächste Glied einer gesellschaftlichen Kette, die hier nur dadurch bricht, daß der Wunsch nach Anerkennung sie zur Übertrumpfung ihrer Elternmeinung zwingt.
Alle, die sich dem Dialog mit den Skins gestellt hatten und hier von ihren Erfahrungen berichteten, sei es Klaus Farin, Burkhard Schröder, der Autor des Buches „Rechte Kerle“, Jerzy Fedorowicz (der in seinem Krakauer Theater gemeinsam mit Skins und Punks „Romeo und Julia“ inszenierte, damit sie die Überfälle auf sein Publikum einstellen), oder eben die Rechercheure des carrousel-Theaters, sie alle berichteten über die Kommunikationsfähigkeit der „mordenden Barbaren“, sobald man lernt, ihre Kodizes zu beachten. Insbesondere in der Produktion „Geiselnahme“ des Theaters Junge Generation Dresden zeigte sich dieser arbeitende Wunsch nach Rückkehr in eine Gesellschaft, von der man sich mißachtet fühlt. Ein Schüler an seinem letzten Schultag zwingt mit einer brennenden Kippe über dem Benzintank seines Motorrades seinen Direktor und zwei Lehrer zum Anhören seiner Träume, der enttäuschten, wie der naiv am Leben gebliebenen. Auch dieses Stück hat keinerlei versöhnliches Ende, bietet weder Antwort noch Lösung, sondern zeigt nur, daß der Boden heißer geworden ist, auf dem mit der Jugend auch das Jugendtheater steht. Insbesondere in den Gebieten der ehemaligen DDR, wo gerade in Kleinstädten rechte Gruppierungen oft der einzige Zusammenhang sind, in dem Jugendliche „mal einen drauf machen können“, wie Frauke Postel, Streetworkerin in Brandenburg erzählte, stellen sich die Theater diesen Fakten auch in zunehmendem Maß. Ob mit den recht altbackenen Mitteln des 70er Rock-Theaters, wie es etwa das Staatstheater Schwerin mit ihrer Produktion „Glatze“ zeigte, oder mit ungewöhnlichen Methoden, wie die Junge Generation Dresden, die ihr Stück nur in Turnhallen vor Schulklassen spielt, um jene zu erreichen, von denen das Stück handelt: Der Wunsch mit der „verlorenen Jugend“ wieder in einen Dialog zu treten, ist zumindest im Jugendtheater des Ostens präsent. Sicherlich ist das erst einmal eine Reise vom Ende der Welt zurück in den Tunnel, aber eben jene Atmosphäre der Unsicherheit schafft die hoffnungsvollsten Momente auf ein Ende des Schweigens.
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