Moslems werden in Jaffna nicht mehr geduldet

Sri Lanka im Bürgerkrieg: Hunderttausende sind auf der Flucht – und eine Friedenslösung ist nicht in Sicht  ■ Von Walter Keller

Dort, wo die Straße abzweigt, die entlang der Westküste von Colombo nach Anuradhapura führt, liegt der kleine Fischerort Puttalam. Die meisten Touristenbusse halten hier nicht, sie fahren weiter in die alte singhalesische Königsstadt mit ihren Sehenswürdigkeiten. Puttalam aber hat diesbezüglich wenig zu bieten.

Der Ort und der gleichnamige Distrikt, gut 100 Kilometer nördlich der Hauptstadt gelegen, sind seit über zwei Jahren „Heimat“ für Zehntausende von Moslems: Flüchtlinge aus den weiter nördlich liegenden, überwiegend von Tamilen besiedelten Distrikten Mannar und Jaffna. Sie leben in notdürftigen kleine Hütten, die aus Palmblättern erbaut und auf salzigen Untergrund gesetzt wurden. 50 oder 100 solcher Notunterkünfte machen ein „Flüchtlingsdorf“ aus. „Jaffna Muslim Refugees Camp“ oder „Mannar Muslim Refugees Camp“ steht auf Schildern, die entlang der Straße nach Norden auf die Lager hinweisen. Vor den Lagern spielen Kinder, Frauen zapfen Wasser aus einem Metalltank. Die meisten Männer sitzen gelangweilt an einem schattigen Platz, andere stehen vor einer provisorisch erbauten Moschee.

Arbeit haben nur die wenigsten Flüchtlinge gefunden. Der Distrikt gibt außer Fischfang und ein wenig Viehzucht nur wenig Möglichkeiten des Brot- oder besser: Reiserwerbs. Es ist ein karges und trockenes Land. „Allenfalls Gelegenheitsjobs können wir hier bekommen“, sagt der etwa 40jährige Mohideen. „Die Regierung gibt uns Reis und Hülsenfrüchte. Und dann gibt es noch einige Freiwilligenorganisationen, die uns helfen.“

Mohideen lebt mit seiner fünfköpfigen Familie seit Oktober 1990 hier. „Die tamilischen ,Befreiungstiger‘ (LTTE) haben uns und die anderen Moslems damals aus Jaffna vertrieben“, erzählt er. So wie Mohideens Familie geht es etwa 50.000 Moslems, die ehemals im Norden oder Nordwesten Sri Lankas lebten und jetzt ein tristes und perspektivloses Leben in Flüchtlingslagern fristen.

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Moslems – auch Moors genannt – betrachten sich im heutigen Sri Lanka als eigenständige ethnische Bevölkerungsgruppe. Sie machen 7 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, insgesamt etwa 1,2 Millionen Menschen. Im Gegensatz zu Singhalesen (etwa 73 Prozent) und Tamilen (13 Prozent) verfügen sie über kein zusammenhängendes Siedlungsgebiet. Etwa ein Drittel lebt im von Tamilen dominierten Norden und Osten, zwei Drittel in den überwiegend von Singhalesen bewohnten südlichen und südwestlichen Landesteilen.

Als Muttersprache gilt Tamilisch, obwohl viele auch der singhalesischen Sprache mächtig sind. Die meist seit Jahrhunderten auf der Insel siedelnden Moslems haben sich weitgehend ihrer jeweiligen Umgebung angepaßt; so haben sich nur wenige gemeinsame moslemische Traditionen entwickelt.

Moslems haben erst während der britischen Kolonialherrschaft das Bestreben nach einer eigenen Identität als Volksgruppe entwickelt. Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden sie meist als islamisierte Tamilen betrachtet. Eine kleine, städtisch orientierte und wohlhabende Moslemoberschicht, die sehr bald die politische Führung dieser Volksgruppe übernahm, stellte später nicht nur das verbindende Merkmal einer gemeinsamen Religion in den Vordergrund, sondern postulierte zugleich eine eigenständige Abstammung von arabischen Seefahrern oder entfernten Anverwandten des Propheten.

Seit einiger Zeit gerieten die Moslems immer stärker in den seit Anfang der 80er Jahre andauernden Volksgruppenkonflikt zwischen Singhalesen und Tamilen, worunter das traditionell recht gute Verhältnis zwischen ihnen und der tamilischen Bevölkerung schwer gelitten hat. Die Situation eskalierte, als militante tamilische Gruppierungen – allen voran die „Befreiungstiger“ – versuchten, Moslems als „tamilischsprachige Bevölkerungsgruppe“ mit in ihren Kampf für einen eigenständigen Tamilenstaat auf der Insel – Tamil Eelam genannt – einzubeziehen. Die meisten Moslems lehnten dies ab und betonten ihre Eigenständigkeit.

Die wachsenden Spannungen wurden dann später von der srilankischen Regierung geschickt ausgenutzt: Es war nun keine Seltenheit mehr, daß sich vor allem die im Osten der Insel stationierten Militärs der Dienste von Moslems beim Aufspüren tamilischer Guerillas bedienten. Für die LTTE wurden nun alle Moslems zu „Feinden und Verrätern“, die es galt zu bestrafen.

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Rechtsanwalt M. Munsoor von der „Jaffna District Moslem Refugee Association“ erinnert sich an einen Tag, den Moslems wohl nie wieder vergessen werden. „Am 30. Oktober 1990, ungefähr gegen 7 Uhr morgens, kamen schwerbewaffnete LTTE-Kämpfer in den moslemischen Stadtteil Jaffnas und verkündeten über Lautsprecher, alle Moslems sollten sich um 8 Uhr auf dem Jinnah-Platz versammeln. Dort sagte ein LTTE-Führer der versammelten Menge, daß man keine Moslems mehr in Jaffna dulde. Er begründete dies mit Auseinandersetzungen zwischen Moslems und Tamilen im Osten der Insel. Alle Moslems müßten innerhalb der nächsten zwei Stunden Jaffna verlassen.“ Man habe denjenigen, die sich geweigert hätten, mit dem Tod gedroht. Alles, was man den Flüchtenden gelassen habe, seien 200 Rupien gewesen.

Dabei beließ es die LTTE jedoch nicht: Immer wieder kommt es seit dieser Zeit auch zu brutalen Übergriffen auf moslemische Einzelpersonen oder Gruppen, vorwiegend in den Ostgebieten der Insel. Moslemische Dörfer und selbst Moscheen sind von der LTTE überfallen worden, Hunderte wurden dabei innerhalb der letzten zwei Jahre massakriert.

Um die moslemische und singhalesische Bevölkerung zu schützen, rekrutiert und bewaffnet die Regierung Zivilisten aus diesen beiden Bevölkerungsgruppen und ernennt sie zu Bürgerwehren. Aber die schlecht ausgebildeten home-guards haben vielfach nur eines im Sinn: die Übergriffe der LTTE mit Racheakten an tamilischen Zivilisten zu vergelten. So haben gerade während der vergangenen zwei Jahre Terror und Gegenterror das Bild im Osten der Insel bestimmt.

Die Attacken tamilischer Guerillas und die Suche nach einer neuen Identität der srilankischen Moslems haben mittlerweile auch zur Gründung einer rein moslemischen politischen Partei, dem „Sri Lanka Moslem Congress“ (SLMC), geführt. Seit der Unabhängigkeit Sri Lankas 1948 hatten sich Moslems immer auf die Seite der jeweils regierenden – und von Singhalesen dominierten – großen Volksparteien geschlagen, der „United National Party“ (UNP) und der „Sri Lanka Freedom Party“ (SLFP). Der Führer des SLMC hat kürzlich sogar zum Dschihad, dem heiligen Krieg, aufgerufen.

Das angespannte Verhältnis zwischen Tamilen und Moslems macht heute eine Friedenslösung noch komplizierter, weil nicht mehr nur singhalesische und tamilische Interessen berücksichtigt werden müssen. Nunmehr streben auch die Moslems nach größerer Autonomie – dies wird vor allem im Osten Sri Lankas gefordert. Eine gemeinsame politische Zukunft zusammen mit Tamilen dieses ethnisch gemischten Gebietes können sich derzeit nur noch die wenigsten Moslems dieser Region vorstellen.

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Die allumfassende Lösung der Probleme ist indes weiterhin nicht in Sicht. Verfolgt man die Berichte über den Kauf argentinischer Kampfflugzeuge oder russischer Kampfhubschrauber durch die Regierung, entsteht unweigerlich der Eindruck, Präsident Ranasinghe Premadasa und seine Partei hätten überhaupt kein Interesse an der Lösung eines Problems, an dessen Entstehung und Eskalation sie maßgeblich die Schuld tragen.

Die einflußreichsten Medien wie Rundfunk und Fernsehen sowie der größte Zeitungskonzern „Lake House“ verstehen sich sowieso als Sprachrohr der Regierung. Sie räumen Premadasa alle nur erdenklichen Möglichkeiten ein, sich und seine Politik zu präsentieren. Die wenigen kritischen Blätter, die es seit kurzer Zeit gibt, befinden sich allwöchentlich mit ihrer Berichterstattung auf einer Gratwanderung – die Regierung versucht verstärkt, solche Stimmen verstummen zu lassen. Wie schon seit längerem die Rechtsanwälte und Menschenrechtler werden nun auch Journalisten und Medienleute belästigt und bedroht. Die Angriffe auf die ehemals relativ freie Presse des Landes hat kürzlich zur Gründung einer „Free Media Movement“ geführt, in der schon zahlreiche Journalisten vereinigt sind.

Wenn im singhalesischen Parteien- und Personenspektrum derzeit niemand auszumachen ist, von dem eine Lösung erwartet werden könnte, sieht es auf tamilischer Seite kaum besser aus.

Die LTTE beansprucht für sich weiterhin ein Alleinvertretungsrecht, die tamilische Konkurrenz ist in den letzten Jahren brutal ausgeschaltet oder vertrieben worden. De facto ist das tamilische Volk seit langem ohne politische Vertretung, obwohl es seit den letzten Parlamentswahlen mehrere tamilische Anti-LTTE-Abgeordnete gibt, die sich jedoch wegen der Gefahr für Leib und Leben überwiegend in Colombo aufhalten und ihre Wahlkreise im Norden nicht und im Osten nur eingeschränkt besuchen können.

Andere tamilische Gruppierungen und Parteien sehen mittlerweile ihr Hauptziel nicht mehr im Kampf gegen die Regierung, sondern in der Eliminierung der mit ihnen verfeindeten LTTE. Sie lassen sich für Kampfaktionen und Einsätze der Streitkräfte anwerben, was diese Gruppen bei der Mehrheit der tamilischen Bevölkerung diskreditiert hat.

So bleibt für Tamilen im Norden und Osten eigentlich nur die LTTE, zu der viele eine Art Haßliebe verspüren. Einerseits glauben sie diese einflußreichste Guerillaorganisation zu brauchen, damit sich die Regierung in Colombo überhaupt noch mit ihren Forderungen nach mehr Autonomie beschäftigt. „Ohne die LTTE hätte man uns schon längst überrannt“, hört man von tamilischer Seite immer wieder als Argument dafür, daß die LTTE auch weiterhin unterstützt werden müsse.

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Andererseits werden die Terrormethoden von den meisten wohl kaum für gut geheißen, mit denen die „Tiger“ zunehmend vorgehen. Abgesehen von den Angriffen gegen Moslems schalten sie auch tamilische Opponenten und Deserteure aus und exekutieren sie in aller Öffentlichkeit. Dennoch scheint die LTTE weiterhin Zulauf gerade aus der jugendlichen Bevölkerung zu erhalten, die nur noch im Kampf gegen das verhaßte Regime und seine Soldaten, die immer wieder für Massaker an der tamilischen Bevölkerung verantwortlich sind, eine Perspektive sehen.

Fraglich bleibt bei dem Szenario, ob es der auf ihre militärische Schlagkraft bauenden LTTE ernst ist mit den kürzlich erneut ausgesprochenen Gesprächsangeboten an Colombo. Nicht wenige Beobachter der srilankischen Szene glauben, die LTTE spiele immer wieder auf Zeit und habe letztlich Angst vor einer Friedenslösung, die für die Guerilla eventuell das Aus bedeuten könne.

Ginge es nach der Mehrheit der Bevölkerung Sri Lankas, dürfte eine Lösung nach fast 15jährigem Bürgerkrieg nicht mehr länger auf sich warten lassen. Trotz des schlimmen Schicksals der 50.000 moslemischen Flüchtlinge in Puttalam und anderswo stellen diese Menschen nur die „Spitze eines Eisbergs“ dar. Insgesamt sind es Angaben des Ministeriums für Rehabilitation und Sozialfürsorge zufolge über 600.000 Binnenflüchtlinge – unter ihnen 250.000 Kinder, wie Unicef schätzt –, die wegen anhaltender Auseinandersetzungen in Sri Lankas Nord- und Ostgebieten derzeit in Flüchtlingslagern leben oder fern ihrer Heimat bei Freunden oder Bekannten Zuflucht gefunden haben. Und die allermeisten davon sind immer noch Tamilen, deren Siedlungsgebiete im Norden und Osten weiterhin nicht nur hart umkämpft sind, sondern bereits seit Monaten einer teilweisen Wirtschaftsblockade der Regierung unterliegen.

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Zehntausende haben seit Beginn der 80er Jahre ihr Leben verloren. Die Wirtschaft des Landes leidet unter dem aufgeblähten Verteidigungsapparat. Ohne den Krieg und die riesigen Summen, die er verschlingt, hätte Sri Lanka die allerbesten Voraussetzungen, innerhalb kürzester Zeit zu einem sogenannten Schwellenland zu werden. Darin sind sich Wirtschaftsexperten einig.

Die Realität sieht jedoch so aus, daß mehr als 100.000 Menschen allein im Norden und Osten durch den Krieg ihre Beschäftigung verloren haben. Die Region trage kaum noch was zum Volkseinkommen des Landes bei, betonte kürzlich Dr. W. Nithianandan, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität von Jaffna. Anläßlich einer Tagung in Colombo betonte er, von den gut 300.000 Hektar Land, auf denen im Norden und Osten vor 1983 Reis angepflanzt wurde, seien derzeit nur noch 49 Prozent kultiviert. Vor allem die Fischereiindustrie sei äußerst stark von den Unruhen betroffen.

Darüber hinaus seien 53 Fabriken in den Nord-Ost-Gebieten durch Luftangriffe zerstört oder beschädigt worden. Dr. Nithianandan betonte weiterhin, von den ehemals im Norden und Osten lebenden 1,7 Millionen Menschen lebten derzeit nur noch etwa die Hälfte dort.

Während so im Norden und Osten tagtäglich in einem „vergessenen“ Krieg gestorben und gelitten wird und Hunderttausende auf der Flucht sind, haben im vergangenen Jahr 400.000 ausländische Touristen die Landesteile Sri Lankas besucht und damit die Devisenkasse gefüllt. Ein neuer Rekord. Ihr Sri-Lanka-Bild ist weiterhin ungetrübt.