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Herrschaft über die Dörfer

Strukturwandel in der ostdeutschen Landwirtschaft: Große Kapitalgesellschaften machen das Geschäft, kleine Betriebe bleiben in der Minderheit  ■ Von Hannes Koch

Hannover (taz) – Das laute Klingeln ist ein ungewohntes Geräusch für Jochen Dettmer. Fast zweieinhalb Jahre hat die Telekom gebraucht, um das Telefon anzuschließen. Der Bauer im sachsen- anhaltischen Belsdorf sieht darin einen weiteren Beweis für die Benachteiligung der Familienbetriebe in Ostdeutschland. „Natürlich hat die LEG schon immer ein Telefon.“

Die „Ländliche Erzeugergemeinschaft“ (LEG) ist Jochen Dettmer ein Dorn im Auge. Der riesige Nachfolgebetrieb von sechs ehemaligen DDR-LPGs bewirtschaftet 4.000 Hektar Land. Bauer Dettmer dagegen beackert ganze 110 Hektar – im Vergleich zur LEG nur ein Obstgarten. 1990 hat er auf ehemaligem LPG-Land den Hof wiedereröffnet, den seine Familie im Zuge der Kollektivierung in den fünfziger Jahren aufgeben mußte.

Beim Gang über den Hof zeigt der Landwirt – einer von 13.000 sogenannten Neu- und Wiedereinrichtern im Osten – auf einige Mauerreste: Mangels Pflege durch die LPG ist die Scheune in den siebziger Jahren zusammengebrochen. Die LPG-Nachfolger verweigern bis heute die Entschädigungszahlung. Begründung: Die Rechtsnachfolge sei nicht geklärt.

Ein weiteres Beispiel für die typischen Startschwierigkeiten, denen neu gegründete Betriebe gegenüberstehen: Jochen Dettmer verlangt von der LEG die Rückzahlung von 20.000 Mark für die sogenannten Inventarbeiträge – eine Entschädigung für Maschinen, Pflanzen und Tiere, die seine Familie 1956 in die LPG einbringen mußte. Doch die Agrarfabrik wolle nicht zahlen, obwohl sie dazu in der Lage sei, sagt Dettmer. LEG-Geschäftsführer Armin Schubert hält dagegen: „Die Bank untersagt uns, die Inventarbeiträge auszuzahlen.“ Sein Betrieb müsse unsinnigerweise zuerst die Schulden bei Westbanken abstottern, die sich noch zu DDR-Zeiten bei der Staatsbank angehäuft hatten.

Besonders stört Bauer Dettmer, daß die Anpachtung von zusätzlichem Land kaum mehr möglich ist, weil der Großbetrieb ganze Landstriche besetzt hat. „Aus Alt-Kommunisten wurden Neu-Kapitalisten. Die herrschen über acht Dörfer.“ Von Chancengleichheit könne keine Rede sein, weil die LEG die Pachtpreise bestimme.

Kein Wunder also, daß nicht viele Bauern das Risiko der Existenzgründung wagen. Nur 600 Neubauern beantragten 1992 in Sachsen-Anhalt staatliche Zuschüsse – in den Jahren zuvor waren es etwa doppelt so viele. Dabei ist Sachsen-Anhalt die Hochburg der Wiedereinrichter: 2.500 einzelbäuerliche Betriebe bewirtschaften über 50 Prozent der Landfläche. In Mecklenburg-Vorpommern sieht es ganz anders aus: Dort sind nur sechs Prozent der Fläche im Besitz von Familienbetrieben. Alle Bauern zwischen Elbe und Oder haben den Ex-LPGs bislang nur ein Viertel der Gesamtfläche abtrotzen können.

Dieses Kräfteverhältnis wird sich in den nächsten Jahren nicht mehr grundsätzlich ändern. Denn die Bundesregierung verfolgt das Ziel der Wettbewerbsfähigkeit großer Einheiten auf dem Weltmarkt und verzichtet deshalb auf die stärkere Förderung der Neubauern. Und Nebenerwerbsbetriebe, aus denen sich konkurrenzfähige Bauernhöfe entwickeln könnten, gehören schon gar nicht zum „agrarpolitischen Leitbild“ von Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert. Die Nebenerwerbslandwirtschaft werde im Osten allenfalls die nächsten zehn bis 15 Jahre überleben, meint dessen Sprecher Joachim Reinicke und beschreibt die Rolle der Mini- Bauern so: „Hobby, Freizeit, Zuerwerb“.

Im übrigen, so stellt sich nach drei Jahren Landreform heraus, haben die LPG-Nachfolger mittlerweile gute Argumente auf ihrer Seite. Die Großbetriebe erwirtschaften je Hektar mehr Geld als ihre einzelbäuerlichen Konkurrenten. Auch ihre soziale Funktion spricht für sie: Während Einzelbauern mit 1,5 Arbeitskräften pro 100 Hektar auskommen, halten die LPG-Nachfolger vier Menschen in Lohn und Brot – angesichts der hohen Arbeitslosigkeit im Osten kein Pappenstiel. Und was für die Bundesregierung besonders wichtig sein dürfte: 61 Prozent des durchschnittlichen Einkommens von Familienbetrieben stammen aus staatlichen Leistungen. Großbetriebe hingegen lassen sich nur knapp die Hälfte ihres Einkommens subventionieren. „Als freier Bauer auf freier Scholle“, „Stolz, frei, unabhängig“ – mit diesen und ähnlichen Sprüchen wirbt der Deutsche Landbund um die Gunst der Landbevölkerung in Ostdeutschland. Im Mai 1990 in Wernigerode aus der Taufe gehoben, vertritt der Verein heute etwa 4.000 Bauernhöfe, die im weitesten Sinne als Familienbetriebe bezeichnet werden können.

Mit dem ostdeutschen Landbund hat der Deutsche Bauernverband (DBV) des Freiherrn von Heeremann erstmals eine Konkurrenz auf gleicher Ebene erhalten. Der DBV (etwa 10.000 Mitglieder in Ostdeutschland) hat die ehemalige Bauernorganisation der DDR aufgesogen und vertritt heute vorrangig die Interessen der LPG- Nachfolgebetriebe. Aber nun sitzt der neue Landbund mit am Verhandlungstisch. Geschäftsführer in Sachsen-Anhalt ist Jens Aichinger. Auf die Frage, was die Einzelbauern (mit Äckern bis zu 100 Hektar) besser machen als die Kapitalgesellschaften (Durchschnittsgröße 1.300 Hektar), fällt ihm zunächst nichts ein. Nach einigem Nachdenken sieht er Vorteile in der „Verbundenheit zum Boden“ und der „Verantwortung dem Land gegenüber“. Konkret: Die Dörfer sehen schöner aus, weil die Familienbetriebe ihre Anwesen in Ordnung halten. Außerdem werden die riesigen Felder durch Hecken unterteilt, was der Ökologie dient. Unproblematisch sei dagegen, daß die bis 1949 enteigneten ostelbischen Junker wieder auf ihre Güter zurückkehren: „Wenn sie Geld bringen und Steuern in Sachsen-Anhalt zahlen.“

Hart ins Gericht geht Jens Aichinger dagegen mit den LPG- Nachfolgebetrieben. Seine Hauptforderung: die Bilanzen der Kapitalgesellschaften sollen überprüft werden, um einen möglichen Subventionsmißbrauch aufzudecken.

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