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Hoechst-Kessel pfeift unter Überdruck

■ Chemiekonzern blickt nach weiteren Unfällen nervös auf die Hauptversammlung Aufsichtsrat will auch über personelle Konsequenzen in der Führungsspitze beraten

Berlin (taz) – Bei der Frankfurter Hoechst AG reagiert man auf die Kette von Störfällen und Unfällen der vergangenen Wochen zunehmend nervös. Sprecher des Weltkonzerns beklagten sich gestern lauthals über den „Presseauftrieb“, nachdem am Sonntag zunächst im Stammwerk Hoechst eine gelbe Farbwolke und am Abend dann Schwefeldioxid aus einem Bahnkesselwagen in der Offenbacher Filiale freigesetzt worden war. „Da ist Schwefeldioxid im Grammbereich freigeworden“, so Firmensprecher Ludwig Schönefeld. Eine lecke Dichtung an einem Kesselwagen sei doch wirklich „kein ungewöhnlicher Fall“ – allein im Stammwerk Hoechst sind nach seinen Angaben 1992 106mal solche Tanks auf Bahnkesselwagen und Tanklastzügen undicht geworden. Früher habe man so etwas gar nicht an die Öffentlichkeit gegeben. „Manchmal kommt die Feuerwehr auch und hängt nur einen Einer darunter, wenn's tropft.“

Bei dem Offenbacher Unfall an einem Kesselwagen mit 15 Tonnen Natriumbisulfit hatte die örtliche Berufsfeuerwehr allerdings anders reagiert. Die Offenbacher Feuerwehr habe den Funk innerhalb des Werks abgehört, die Firma angerufen und gleichzeitig schon die Öffentlichkeit informiert, sagte Schönefeld. Der Kesselwagen war am Freitag teilweise entladen und der Inhalt dafür auf rund 60 Grad Celsius erhitzt worden. Durch die Erhitzung entsteht nach Hoechst- Angaben immer ein leichter Überdruck, der sich in dem isolierten und verschlossenen Tank bis Sonntag – bis zum Leck – nicht abgebaut hatte. Eine größere Gefährdung habe aber nicht bestanden, so Werksleiter Wolfgang Pretzer. „Der Tank mit der Lösung kann nicht explodieren.“

Daß die öffentlichkeit hochgradig sensibilisiert ist, hat man auch bei Hoechst registriert. In den vergangenen Wochen habe man gemerkt, daß es bei der Frage, ob man einen Vorfall meldet oder nicht „eine Grauzone gibt, die doch sehr, sehr groß ist“, meinte gestern auch Konzernsprecher Schönefeld. Schönefeld präsentierte auch neue Zahlen: Im Stammwerk hatte 1992 die Werksfeuerwehr 92mal ausrücken müssen, 1991 waren es 79 häufig nicht meldepflichtige Einsätze.

Die von Schönefeld beklagte Grauzone wird nach der Hauptversammlung des Konzerns am 27. April auch den Aufsichtsrat des Unternehmens beschäftigen. Er gehe zwar davon aus, daß alle notwendigen Maßnahmen zur Unfallverhütung getroffen worden sind, so Aufsichtsratsmitglied Hubert Markl gestern. Auf die Frage nach personellen Konsequenzen aus der Unfallserie wollte sich der Konstanzer Biologieprofessor und Zeit-Kolumnist Markl deshalb auch nicht festlegen. Nur soviel: „Der Aufsichtsrat wird darüber beraten.“ Hermann-Josef Tenhagen

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