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Unterm Strich

Die Mitteilung, daß sich Christoph Schlingensiefs Stück „100 Jahre CDU – Spiel ohne Grenzen“, das am 23. April von der Volksbühne am Rosa-Luxemburg- Platz aufgeführt wird, mit der Situation eines „Deutschland der Verwahrlosung“ auseinandersetze, wirkt auf den Kurzmelder seltsam beruhigend, ja anheimelnd. Nicht der immer wieder gern beschworenen „Sehnsucht nach Orientierung“ wegen, die sich unsereins doch längst so ziemlich von der Backe geputzt hat (und die man dem infantilen Herrn Schlingensief auch kaum zu stillen zutrauen dürfte). Nein – es ist wohl mehr das schöne und überraschende Gefühl, irgendwie doch zu diesem Deutschland dazuzugehören, wo man doch eben erst ein Gesicht der Verwahrlosung gewaschen hat, einer Wohnung der Verwahrlosung entkommen und am Schreibtisch der Verwahrlosung in einer so ungemein sympathisch verwahrlosten Redaktion angelandet ist.

Deren Organisation freilich, verglichen mit der des Künstlerhauses Schloß Wiepersdorf, an eine Offiziersmesse erinnert. Dem bereits gekündigten Direktor Peter Hahn war am Montag vom sächsischen Kulturstaatssekretär Eckhard Noack vor laufenden Kameras vorgeworfen worden, er habe Baumaßnahmen im Schloß gestoppt, um Biedermeier-Möbel kaufen zu können. Aus Protest gegen die Entlassung des Direktors war bereits die Hälfte der Stipendiaten-Jury samt dem Vorsitzenden Christian Meier zurückgetreten. Dem Ziel, „eine Art märkische Villa Massimo“ zu werden, ist Wiepersdorf im aktuellen Zustand administrativer Verwahrlosung damit greifbar nahegekommen.

Mit den Folgen eines riesigen Pfuschs im Verlagswesen des Beitrittsgebietes hat der neue Besitzer des Aufbau-Verlags, der Frankfurter Immobilienhändler Bernd F. Lunkewitz, zu kämpfen. Man hatte zu DDR- Zeiten dort etwa, wie Der Spiegel herausfand, statt 10.000 lizenzierter Exemplare eines Hemingway-Romans frech 100.000 gedruckt. Was Wunder, daß die auf diese Weise betrogenen Verlage, darunter Suhrkamp und S. Fischer, nun Klage einlegen. Besonders apart fiel die Entschuldigung des Ex-Kulturministers Klaus Höpcke für das verwahrloste Geschäftsgebahren der DDR-Verlage aus: Angesichts der geringen Devisenmittel sei die Trickserei der einzige Weg gewesen, das Ost-Publikum mit West-Büchern bekannt zu machen.

Leider völlig frei von den leisesten Verwahrlosungsspuren sind die Auftritte von Sade, die uns seinerzeit einige Hits der Kategorie „peinlichstes Lieblingslied“ bescherte. Ihre leicht angerauhte Stimme sei nie zu inbrünstig, zu aggressiv oder zu grell, sagen die Kritiken ihrer aktuellen Deutschlandtournee. Da scheint es selbst zweifelhaft, daß das – zugegebenermaßen sensationelle – nabelfreie Paillettenkleid für die gepflegte Langeweile entschädigen könnte.

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