: Das Wort Angst fällt nie
Heute wird das Kabinett formell die Entsendung deutscher Soldaten nach Somalia beschließen. So mancher Berufssoldat erfährt es als persönliche Aufwertung, für die UNO „in den Ring zu steigen“. Andere empfinden eher Widerwillen, sind aber erleichtert, daß die Aufgaben humanitärer Natur sind.
Nur mal angenommen. Für den Fall, daß. Also, wenn morgen der Einsatzbefehl für Somalia oder Bosnien da wäre, da bekäme er, sagt der Hauptgefreite von Berg, Thomas, schon einen „Schreck“. Aber nur im ersten Moment. Denn er müsse ja, auch als Wehrpflichtiger, „konsequent“ sein. Der Schütze Bruck, Reinhard kann sich innerlich „durchaus Unsicherheit“ vorstellen. Aber als er am 1. Januar freiwillig und überzeugt seinen Dienst angetreten habe, war schon „das Bewußtsein da: Du mußt eben, wenn's drauf ankommt, kompromißlos Dienst leisten“. Stabsfeldwebel Wiechert, Klaus-Peter sähe bei sich „Widerwillen“ und eine „gewisse Betroffenheit“. Der Feldwebel und Materialnachweistruppführer Jansen, Stefan hat vorsorglich schon mal seine Freundin „versucht zu beruhigen“: es werde bei ihm schon nicht dazu kommen. „Aber ob sie es verstanden hat, weiß ich nicht.“ Und Oberstleutnant Rüttgers, Heinrich führt „gemischte Gefühle“ an. Das Wort Angst fällt nie. Mann ist Soldat.
Gesprächsrunde im Offizierscasino der Aachener Lützow-Kaserne. Ein halbes Dutzend Soldaten spricht über die vielen neuen Aufgaben der Bundeswehr. Es sprechen ausgesuchte Soldaten. Im Beisein ihrer Vorgesetzten. Während sich der Presseoffizier der Kaserne Notizen macht. Und der Berufssoldat Rüttgers sagt: „Eigentlich sind wir alle Pazifisten.“
Auf in den Kampf – nein, das ist Sache der Oliven nicht. „Wir sind keine Rambos“, heißt es. Markig kann es trotzdem klingen: „Es wird Zeit, daß wir Farbe bekennen“, so der Stabsfeldwebel. Die Argumente sind die altbekannten: Gesamtdeutschlands neue Verantwortung, Dank an die Alliierten für die 40 Jahre, nicht mehr die Nazizeit als Ausrede benutzen und so weiter. „Wir“, so ganz staatsmännisch der junge Schütze, „dürfen als Deutsche nicht mehr den Kopf in den Sand stecken.“ Tenor aller: Wenn die UNO Bundeswehrsoldaten anfordert, das Parlament einverstanden ist und die Bevölkerung möglichst mehrheitlich dahintersteht, dann sollte es keine Grenzen mehr geben, weder geographisch noch politisch. Area ist überall. Bonn befehle – wir folgen!
Wenn es nur endlich mal Klarheit gäbe — leid sind sie es alle, das parteipolitische Hickhack. Man will Entscheidungen, daß nicht mehr, so der Feldwebel, „darüber debattiert wird, ob die Schuhe nun hellbraun oder dunkelbraun sind“. Doch das „Primat der Politik“ (Oberstleutnant) hin, Einsätze hier oder da her – am liebsten vergleichen sie. Auch in der Kaserne könne es doch zu Kampfhandlungen kommen, wenn nur mal einer einen Fuchs-Panzer für eine Gefangenenbefreiung stehlen will. „Auch Polizisten riskieren jeden Tag ihr Leben“, weiß der Schütze. Auch im Auto lauere der Tod, sagt der Offizier. Platitüden zum Ablenken von der Wirklichkeit hinter den neuen Aufgaben, bei denen Gewehr und Panzer nicht mehr nur zu Übungszwecken zum Einsatz kommen.
„Ich verlasse mich auf das Fingerspitzengefühl der Politiker“, sagt allen Ernstes der Stabsfeldwebel. Daß es damit nun wirklich nicht weit her ist, muß er zugeben. Aber, sagt er, die Hoffnung dürfe man nicht aufgeben. Da verläßt Oberstleutnant Rüttgers kurz alle rhetorischen Schützengräben: „Ich wünsche mir schon, daß die Politiker handlungsfähiger wären und nicht so profilierungsfreudig. Jedes Exekutivorgan, nicht nur die Bundeswehr, ist am Ende der Dumme, wenn andere Mittel, etwa eine konsequente Wirtschaftsblockade Serbiens zur rechten Zeit, versäumt wurden. Wir sind dann das Opfer der Politik.“
Wobei es nicht nur die Opferrolle gibt. „Richtige“ Einsätze adeln den Soldaten. Ist nicht das Image der Bundeswehr im Keller? Steigt nicht die Zahl der Kriegsdienstverweigerer? Halten nicht manche, und immer mehr, die Bundeswehr für unnötig nach dem Ende der Blöcke? Ungefragt erzählt der Stabsfeldwebel von zunehmenden Anpöbeleien in der Öffentlichkeit; schon deshalb ziehe er keine Uniform mehr an, wenn er in die Stadt gehe. Berufsoffizier Rüttgers guckt streng und ist wieder in Verteidigungsstellung: Nein, das sei doch höchstens früher während der Nachrüstungsdebatte gewesen. Und der Hauptgefreite sekundiert schnell, er kenne höchstens „vereinzelte Probleme, etwa auf Bahnhöfen“. Und in Bayern, bei den Gebirgsjägern, bei seiner Grundausbildung, da habe er von den Bürgern vermittelt bekommen, daß man „stolz“ sei auf die Soldaten.
Dann lieber Aufmerksamkeit. Nein, mit Ehre des Soldaten habe das nichts zu tun, sagt der Offizier. Aber im Kreise seiner „alliierten Kameraden“ sei er schon manchmal der Depp. „Unterschwellige Töne“ habe er da letztens noch bei einem Ausbildungslehrgang in England vernommen. Halt kein richtiger Soldat, dieser Kraut. „Der Luxemburger soll vorgehen oder der Niederländer und wir im Hintergrund stehen und zusehen“ – diese Lage sei für ihn als Offizier schon „etwas bedrückend“. Also: „Für die UNO in den Ring steigen, ist für mich schon eine gewisse persönliche Aufwertung.“ Und der Feldwebel sieht verbesserte Erklärungschancen seinen Bekannten gegenüber, die schon mal fragen: „Was wollt Ihr? Wofür seid Ihr eigentlich gut?“ Denen könne er sein Handwerk bald besser vermitteln, müsse nicht mehr antworten: „Ich produziere hundert Kilo Frieden pro Tag.“
Dem Oberfeldwebel Kraß, Werner gefällt der Begriff „Kampfeinsätze“ nicht. Die seien doch (noch) weit weg. Es gehe doch um humanitäre und friedenssichernde Aufgaben. „Und wenn ich da als Soldat nicht hinterstehe, dann bin ich bei der Bundeswehr falsch.“ Was er vergißt: Wenn es keine Option zum Kampf gäbe, bräuchten wir keine Bundeswehr mit Hilfspaketen und technischem Dienst in der Ferne, dann könnte die UNO gleich Organisationen wie Brot für die Welt um Brot für Somalia bitten. Oder?
Das sehen die Soldaten anders. Presseoffizier Kohlen, Ralph verweist auf ein aktuelles Beispiel. Auf Kambodscha, wo doch gerade jetzt einer der ihren, der Stabsunteroffizier Klaus Schiff, dort als Zahnarzt-Assistent im UNO- Krankenhaus freiwillig Dienst tat: „eine wirklich rein humanitäre Aufgabe“.
Das mag in diesem Einzelfall stimmen – nur waren die Nutznießer der „Engel von Phnom Penh“ (Hardthöhen-Eigenlob), selten die notleidenden Kambodschaner. Dreiviertel aller PatientInnen, berichtet Schiff, waren UNO-Angehörige. Einheimische kamen nur auf den Behandlungsstuhl, wenn sie, so Schiff, als wirklich „schwere Fälle“ eingestuft waren. Nicht eben ein Musterbeispiel für internationale Mitmenschlichkeit – und das schon bei Karies. Bernd Müllender, Aachen
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