piwik no script img

Brasilia 2000! Von Thomas Pampuch

Da kommt man von einer Reise zurück, und schon sind tiefe Gedanken gefordert. Dabei war doch nach den vielen aufregenden Tagen eigentlich eine Denkpause geplant. Aber nein, alles quasselt von Olympia. Wo und wo nicht, ob überhaupt, und wenn, wie, und wem nützt es und wem nicht. Ideologisch sauberes Stellungnehmen ist verlangt. Ja, vor einer Woche in Brasilia, da war es noch leicht. Da verkaufen sie unter dem Fernsehturm auf dem Hippiemarkt (so heißt der wirklich immer noch) T-Shirts mit der Niemeyer-Kathedrale drauf und den fünf Ringen und Brasilia 2000. Greift man doch zu, damit die Spezis in Berlin bei der nächsten NOlympia-Demo was Hübsches zu tragen haben.

Olympia 2000 also in der Dritten Welt? Oder sagen wir der zweieinhalbten, denn die Sahelzone ist dieses gigantische Retortenbaby, das gestern seinen 33. Geburtstag gefeiert hat, ja nun auch nicht, selbst wenn zwei Drittel der 1,5 Millionen Brasilenses nicht in den feinen „Superquadras“ leben, sondern in den mehr oder weniger natürlich entstandenen Favelas rundherum.

Was spricht für Brasilia 2000? Da ist einmal der rote Sand des Hochlandes von Goias, der der Stadt automatisch jenen sportiven Aschenbahn-Charme verleiht, der anderswo mit Tartan oder sonstigen unerquicklichen Schmieragen erst mühsam erzeugt werden muß. In Brasilia müßten nur ein paar Zielbandl gespannt werden. Würde man schon ordentlich Geld sparen. Ähnliches gilt für die Architektur. Letzlich haben Lucio Costa und Oskar Niemeyer da 1960 das ultimative olympische Dorf hingestellt, und das ist es bis heute geblieben. Da wäre es doch nur gerecht, wenn es nach 40 Jahren seiner ursprünglichen Bestimmung endlich zugeführt werden würde. Die ganzen Regierungsbürokraten müßten freilich ihre hübschen Wohnungen räumen, aber das machen sie ohnehin nur zu gerne, um sich unter dem Zuckerhut von ihrer anstrengendenn Korruptionsarbeit zu erholen. Die Unterbringung der Jugend der Welt wäre also gesichert. Die Presse könnte man im Parlament einquartieren, die Funktionäre in den Gebäuden der obersten Heeresleitung und die Schiedsrichter gerecht auf dem Platz der drei Gewalten verteilen. Ist alles schon da, würde keinen müden Cruzeiro kosten.

Ein Olympia des kleinen Geldbeutels wäre also möglich. Wenn nur die Brasilenses mit ihrer geburtsbedingten Gigantomanie nicht doch die falsche Kurve nehmen. Vernüftig geplant könnte Brasilia 2000 Zeichen setzen für eine neue sportliche Dritte-Welt- Politik: Keine Kommerzspiele, keine Materialsportarten, kein Produktmarketing. Arbeitsplätze und Gewinne für die Einheimischen: Nur cafezinho, caipirinha und Mangosäfte. Juteleibchen statt Plastikhosen. Adidas, Coca Cola und all die anderen aber sollten jedem Bewohner der Capitale ein Fahrrad schenken. Es würde die Lebensqualität der Hauptstadt enorm steigern. Dann kämen die Favela-Leute wenigstens mal ins Zentrum, das bis heute absolut tote Hose ist. Und sie könnten dort die Reichen der Welt (und des Landes) richtig schön beklauen, nach allen sportlichen Regeln. Brasilia 2000: Ein Fest der Freude und Begegnung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen