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Kohlhaas in Nordchina

Zhang Yimous schöne Provinzposse „Die Geschichte der Qiuju“  ■  Von Mariam Niroumand

In einem Dorf hinter Steinbrüchen, am Ende aller Landstraßen, im rauhen, grünen Norden Chinas ereignet sich folgende kleine Episode. Qinglai, ein einfacher Bauer, wird vom Dorfältesten Wang Shangtang im Verlauf einer hitzigen Debatte in die Eier getreten. Quinglai würd' es ja noch hinnehmen, aber seine Frau Qiuju verlangt eine Entschuldigung; kein Geld, eine Entschuldigung. Der Dorfälteste lacht sie aus. Mühselig, stumm, verschlossenen Gesichts wankt die hochschwangere Qiuju die Landstraße hinunter ins Dorf, um vor dem Dorfpolizisten ihre Beschwerde vorzubringen.

Die Sache kommt ins Rollen. Der Vermittlungsversuch des Polizisten, der freundlich an den gesunden Menschenverstand auf beiden Seiten appelliert und für gütliche Beilegung des Streits plädiert hatte, scheitert. Wang bietet ihr Geld, wirft es ihr großkotzig vor die Füße, aber sie will ja kein Geld, sie will eine Entschuldigung. Weil es seit 1990 für jeden Bürger möglich ist, Beschwerde gegen einen Gerichtsbescheid einzulegen, zieht sie ins nächste Dorf, in die nächste Kleinstadt, in die Kreisstadt bis zur Hauptstadt, um Gerechtigkeit zu erstreiten. Zunächst entscheiden die Gerichte immer das gleiche: Mit der finanziellen Entschädigung ist die Sache erledigt.

Die Mühen der Ebene sind schier unüberwindlich. Die erdrückende Engstirnigkeit, der die Schwangere auf den Ämtern begegnet, steht in krassem Gegensatz zur Weite und Gelassenheit der Landschaft. Weil sie nicht schreiben kann, muß Qiuju auf dem Marktplatz, auf dem sie sonst ihre Chili-Bohnen verkauft, einen Schreiber suchen. – „Dank meiner Briefe haben Kunden von mir ihre Gegner an den Galgen gebracht“, prahlt der zahnlose Alte. Was wie eine Provinzposse, eine Eulenspiegelei wirkt, ist in Wahrheit ein höchst gewöhnlicher Vorgang im Land der Mitte: Ist eine Strafanzeige eindrücklich und formvollendet genug verfaßt, kann ein gewöhnlicher Mensch ohne Beziehungen und ohne Geld durchaus mit der Todesstrafe rechnen.

Regisseur Yimou gelingt das Kunststück, seinem Publikum eine Rechtsbelehrung im Gewand einer der schönsten Provinzpossen zu bieten, die man hierzulande seit „Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kulmbach“ nicht mehr gesehen hat. Qiuju ist nämlich genauso gefährlich wie andere Kohlhaases auch; indem ihr die Satisfaction über dem gerichtlichen Vergleich steht, stabilisiert sie, unwissentlich, ein feudales Rechtssystem. Sie weiß nicht, daß ihr Erfolg, den sie schließlich auf der letzten Instanz erringt, ihren Feind ans Messer liefert, obwohl sie doch nur eine Entschuldigung wollte.

Yimou filmt sie stets auf Augenhöhe, oft vor einem Panorama oder inmitten des ihr fremden, städtischen Gewimmels; sie bleibt uns ein bißchen fremd, und doch löst sie, wie sie da so ihren Bauch vor sich herschiebt, einen Schutzimpuls aus. Yimous Filme „Die rote Laterne“ oder „Das Rote Kornfeld“ prägten sich ein über die Farben; hier ist das Kolorit gedämpft, aquarellhaft verwässert, er operiert in einer Grauzone. Yimou gehört zur fünften Filmemachergeneration Chinas, derjenigen, die den meisten Zugang zum internationalen Film hatte. Während der Kulturrevolution, 1966, wurde er für Jahre zur Arbeit aufs Land geschickt. Als 1978 die Pekinger Filmhochschule wieder eröffnete, bewarb er sich um Aufnahme und wurde abgewiesen mit der Begründung, er sei zu alt. Zimou legte Beschwerde gegen diesen Bescheid ein, schließlich habe die Kulturrevolution ihm Jahre seines Lebens geraubt. Die Beschwerde ging durch die Instanzen, er blieb zäh, bis schließlich der zuständige Minister selbst für ihn intervenierte...

Zhang Yimou: „Die Geschichte der Qiuju“. Kamera: Chi Xiao Ning; mit Gong Li, Lei Lao Sheng; China/Hongkong 1992, 100 Min.

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