: Romeo und Julia in Kroatien
■ Filme aus Jugoslawien – Die Internationalen Grenzland-Filmtage in Selb
Die kleine Stadt Selb, die an der tschechischen Grenze und nicht weit von der Bahnlinie Paris–Moskau liegt, hat mehr zu bieten als Porzellan und gutes Bier. Seit sechzehn Jahren finden hier, in der Regel am Wochenende nach Ostern, die „Internationalen Grenzland- Filmtage“ statt, bei denen vor allem Filme aus osteuropäischen Ländern gezeigt werden.
In diesem Jahr hatte das Filmfest erstmals einen klaren Länderschwerpunkt: Zu sehen sind diesmal Filme aus den früher jugoslawischen Ländern Makedonien, Kroatien und Slowenien und eine Werkschau des 1932 in Belgrad geborenen Regisseurs Dušan Makavejev.
Makavejev ist noch immer der bekannteste Vertreter des jugoslawischen Kinos, obwohl er seit 1973 in Paris lebt. In den letzten zwei Jahren wurde ansonsten – so die Veranstalter des Filmfestes in Selb – mit Ausnahme von Kusturicas „Time of the Gipsies“ kein einziger Film aus Makedonien, Bosnien, Slowenien oder Kroatien in der Bundesrepublik gezeigt. Filme aus Serbien und Bosnien fehlten leider auch auf den „Grenzland-Filmtagen“, aber es wurden einige ältere Filme gezeigt, die sich mit den Problemen von Bosniern und Serben im ehemaligen Vielvölkerstaat Jugoslawien befassen.
Eine ostserbische Industriestadt nahe der Grenze zu Rumänien ist der Schauplatz des Films „Der Mensch ist kein Vogel“, den Dušan Makavejev 1965 gedreht hat. Ein Ingenieur aus Slowenien, Jan Rudinski, kommt in diese triste Stadt, um in einem Kupferwerk neue Maschinen zu installieren. Rajka, eine schöne Friseuse, verliebt sich in den wesentlich älteren Ingenieur, mit dessen Hilfe sie der öden Kleinstadt zu entkommen hofft. Aber diese Liebe scheitert schließlich, Rudinski fährt wieder nach Slowenien.
Makavejev illustriert den Widerspruch zwischen dem Optimismus des sozialistischen Aufbaus und dem rückständigen Verhalten der Arbeiter. So wird zum Beispiel die Aufführung einer Beethoven- Symphonie in der Fabrik mit Aufnahmen aus einer lauten Proletarierkneipe kontrastiert, in der eine Sängerin so provozierend Liebeslieder singt, daß die Männer vor Begeisterung Bierflaschen zerschmettern und eine Riesenrauferei anfangen. Unter ihnen ist Barbulovic, im Werk der beste Arbeiter, der zu Hause allerdings ungehemmt seine Frau tyrannisiert. Er verschenkt ihre schönsten Kleider an seine Geliebte – mit der Begründung, daß er seine Frau schließlich ernähre, ihre Kleider bezahlt habe und sich so auch das Recht erworben habe, sie als Ehemann zu schlagen. Am Schluß windet sich die Arbeiterfrau aus ihrer Misere; der Film endet vorsichtig hoffnungsvoll.
Von Bosniern handelt „Widder und Mammuts“. Aufgrund des Nord-Süd-Gefälles in Jugoslawien gingen viele Bosnier nach Slowenien, um sich dort als „Gastarbeiter“ durchzuschlagen. Robar-Dorin beschreibt in vier ineinander verschränkten Geschichten die Diskriminierung der Bosnier in Slowenien und den versteckten und offenen Nationalismus beider Volksgruppen.
Eine seiner Hauptfiguren ist Huso, der zunächst als illegaler Arbeiter in Ljubljana lebt, es dann aber schafft, bei der Müllabfuhr eine reguläre Anstellung zu finden.
Robar-Dorin zeigt den Müllmann bei seiner Arbeit, im Heim für ledige Männer und in den Bosnier-Kneipen der Stadt. Huso stirbt, als er nach einem exzessiven Gelage das Schaufenster eines Lebensmittelgeschäfts zerschlägt und sich dabei schwer verletzt, fasziniert vom Warenangebot im vergleichsweise reichen Slowenien. In den gleichen Lokalen wie Huso verkehrt auch ein Slowene, ein Psychopath, der junge Bosnier zusammenschlägt und quält: Nationalismus als Symptom einer (heilbaren) psychischen Krankheit.
Wer sich von dem Festival neuere Filme zu Politik und Gesellschaft im ehemaligen Jugoslawien erwartet hatte, wurde enttäuscht. Zwei erst im letzten Jahr fertiggestellte Kurz-Spielfilme von sehr jungen Regisseuren boten Sex, Suff und Stumpfsinn in Slowenien. Dabei fehlte entweder jegliches dramaturgische Element oder der Plot war entsetzlich dürftig. Politische Ereignisse bilden allerdings den Hintergrund für „Eine Geschichte aus Kroatien“ von Krsto Papić. Dieser Film für Jugendliche, eine Neufassung von „Romeo und Julia“ voller Witz und Rockmusik, wurde 1992 in Kroatien gedreht. Folie für die Konflikte der verfeindeten Familien sind die kroatische Krise 1971, die Arbeiter der kroatischen Opposition in Deutschland und der Sturz der Kommunisten in Kroatien im Jahr 1990. Dabei interessiert sich Papić aber weniger für die konkreten politischen Probleme als für ihre Auswirkungen auf das Privatleben. Entsprechend allgemein ist auch die politisch-moralische Lehre seines Films. Am Beispiel des Vaters von Marina, der kroatischen Julia, zeigt er, daß im neugegründeten Staat Kroatien Skrupellosigkeit und Anpassungsfähigkeit gefragt sind: Auch nach der Wende bleibt Marinas Vater der gefürchtete Polizeioffizier, der er war. Wendehälse sind erfolgreich, auch im ehemaligen Jugoslawien.
Ein Publikumsrenner des Festivals war der neueste Film von Dušan Makavejev, „Gorilla bathes at Noon“, der 1991/92 in Berlin gedreht und produziert wurde. Er erzählt die Geschichte von Victor Borisowitsch, einem russischen Major, der in Berlin stationiert war, dessen Truppe aber desertiert, das heißt in Richtung Heimat abgezogen ist, als Victor in einem Krankenhaus lag. Victor bleibt in Deutschland. Alleingelassen und verwirrt streift er auf der Suche nach Arbeit, Geld und Unterkunft durch Berlin. Makavejev zeigt die wiedervereinigte Stadt und ihre Bewohner: Kleinkriminelle, die in einem Bunker wohnen, einen Schrottplatz und eine Rollwagenburg, eine junge deutsche Alternative wie aus dem Bilderbuch und ihren Freund, dessen Physiognomie nicht türkischer sein könnte, der aber auf Ausländer schimpft. Makavejev hat seine Spielhandlung mit schwarzem Humor, Ironie und einer Flut von Regieeinfällen inszeniert und Ausschnitte aus dem Revolutionsfilm „Der Fall von Berlin“ (UdSSR 1949) und Dokumentaraufnahmen vom Abriß des Lenin-Denkmals dazugemischt. Das Produkt ist eine verspielte Collage über die jüngste deutsche Geschichte und das Ende des realexistierenden Sozialismus. Während Victor im wiedervereinigten Deutschland die Demontage des Lenin-Denkmals beobachtet, zerfällt seine Heimat – und die des Regisseurs: Jugoslawien. Angela Martin
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