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Wer ist das Opfer, wer ist der Täter?

■ Im Prozeß gegen Ilona Hepp kommt man mit Logik nicht weit / Erbstreit nur Ausdruck von Kindheitstraumata?

Berlin. Beauftragt eine Schwester ausgerechnet die Freundin des Opfers, nach einem Killer für den Bruder zu suchen? Und würde das auserkorene Opfer wiederum die Schwester warnen, seine Freundin sei eine Kriminelle, wenn es zur selben Zeit mit dieser ein Komplott betreibt, um die Schwester als geldgierige Mörderin hinter Gitter zu bringen?

Mit den Kategorien einer normalen Logik, das ließ bereits der erste Tag im Prozeß gegen die ehemalige AL-Politikerin Ilona Hepp (38) aufscheinen, sind die Motive und Handlungen kaum nachvollziehbar. So dürr die Anklage daherkommt, die Ilona Hepp vorwirft, aus Habgier einen „Killer“ gedungen zu haben, um den Bruder zu töten, so deutlich wird eine schicksalhafte Verklammerung zwischen den Geschwistern, die mit dem Streit um ein Millionenerbe nicht erklärbar, sondern teilweise nur tiefenpsychologisch deutbar ist.

Die Konstellation, in der für Beobachter unentscheidbar wird, wer Opfer und wer Täter ist, bündelte sich gestern in einem leidenschaftlichen Aufschrei der Angeklagten. „Er ist doch der Täter“, rief Ilona Hepp vor vollbesetzten Bänken des Saales, in dem vor kurzem auch Honecker saß, als sich das Schwurgericht ohne Vernehmung des Bruders vertagen wollte.

Aussage steht gegen Aussage. Nach der Anklage soll Ilona Hepp für 50.000 Dollar einen Mörder gedungen haben, um das Erbe der Mutter nicht mit ihrem Bruder teilen zu müssen. Ganz anders dagegen die Darstellung des ehemaligen Mitglieds des geschäftsführenden Ausschusses der AL: Sie sei Opfer einer komplizierten Intrige ihres in Essen als Kunsthistoriker lebenden Bruders, den sie als unverantwortlichen, nie erwachsen gewordenen Menschen schildert. Dieser verkehre seit Jahren im Bordellmilieu und habe Geldschwierigkeiten. Nach ihrer Schilderung habe sie der Freund ihres Bruders besucht und sich als Mitglied einer internationalen Bande ausgegeben. Ihr Bruder und dessen Freundin, die ehemalige Prostituierte Marita Leu, würden sterben, wenn sie nicht zahle. Allein um dies zu verhindern, habe sie das Geld besorgt.

Motive für den Bruder sind zumindest vorstellbar. Zwar erbten beide Geschwister bereits beim Tod des Vaters ein Millionenvermögen, doch beim Tod der Mutter ging Nicolas Hepp (42) bislang leer aus. Erst nach deren Begräbnis im Dezember 1991 erfuhr er, daß der größte Teil des Vermögens – Grundstücke und eine Villa im Wert von fünf Millionen Mark – bereits an Ilona Hepp überschrieben waren. Auch vom Barvermögen von etwa zwei Millionen Mark hat er bislang nichts erhalten.

Zu klären sein wird die Rolle von Hepps damaliger Freundin Marita Leu. Nicolas Hepp will zwar durch sie vom Mordauftrag erfahren haben, erhebt aber zugleich schwere Vorwürfe gegen sie. Diese habe versucht, ihn um 150.000 Mark zu erpressen. Frau Leu habe die Geschwister gegeneinander ausspielen wollen, um „möglichst viel Geld herauszuschlagen“, sagte Nicolas Hepp.

Ob der Prozeß überhaupt fortgesetzt wird, wird in den nächsten Tagen entschieden. Die Verteididung hält es für einen nicht wieder gutzumachenden Fehler, daß das Gericht dem Bruder die gesamte Anklageschrift zur Einsicht übergeben hat – ein in der Tat mehr als ungewöhnliches Vorgehen. Die Verteidigung möchte zudem den Prozeß aussetzen, bis die für die Verhandlung zentralen Telefonmitschnitte vom Bundeskriminalamt ausgewertet worden sind. Die Verteidigung beschuldigt den Bruder der Manipulation der Bänder, auf denen sowohl der Mordauftrag als auch der angebliche Erpressungsversuch Marita Leus dokumentiert sind. Gerd Nowakowski

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