: Genug der Blumen
■ Marlene Streeruwitz inszeniert "Dona Rosita bleibt ledig..."
Treue ist ein schöner Zug, an Frauen jedenfalls. Und beim gegenwärtigen Recycling alter Werte wird auch sie uns wieder angepriesen. Doch wenn eine Frau 23 Jahre lang ihrem abwesenden Verlobten die Treue hält, während der nur verlogene Briefe schreibt, darf man doch wohl fragen: Hat sie das nötig?
Carcia Lorcas Doña Rosita ist ein Opfer der patriarchalischen Sittenstrenge in Spanien des beginnenden 20.Jahrhunderts. Aber die Verwandlung eines blühenden jungen Mädchens in eine trockene alte Jungfer ist nur möglich, wenn sie es zuläßt. Doña Rosita gewöhnt sich so an die Ferne des Geliebten, daß sie ihr eigenes Bedürfnis nach Nähe mißachtet. Carcia Lorca ist gerecht: Neben Doña Rositas feministischem Schlachtruf „Hat etwa ein armes Weib nicht das Recht, in Freiheit zu atmen?“ stellt er die pragmatische Kritik der verheirateten Frauen an Doña Rosita: „Du hast Dich an Deine Idee geklammert, ohne die Wirklichkeit zu sehen und ohne Deine Zukunft zu berücksichtigen.“
Die Doña Rosita der Kölner Aufführung (Therese Dürrenberger) ist ein zickiges junges Mädchen und später eine starre Frau, der man eine Mitschuld an ihrem Leid wohl zutraut. Wogegen ihre Tante (Evelyn Matzura) und deren Haushälterin (Anke Tegtmeyer) zwei kluge, ältere Frauen sind, die wissen, wie das Leben läuft.
Marlene Streeruwitz, mit drei neuen Stücken die erfolgreichste Debütantin auf dem Theater im letzten Jahr, führt hier zum dritten Mal Regie, bisher nur am Wiener Schauspielhaus, nun in den Kölner Kammerspielen. Sie setzt auf die Form. Carcia Lorcas lyrische Elegie in drei Akten wird von ihr in disparate Teile aufgegliedert mit je eigener Ästhetik. Zuerst ein Bild ohne Worte. Hinter Gazevorhängen, die wie Poesiealben mit Blumengirlanden beklebt sind, liegt ein Raum in mild getöntem, farbigem Licht (Bühne: Mark Beard). Vögel zwitschern, Grillen zirpen: ein locus amoenus, eine Szenerie wie für de Fallas „Nächte in spanischen Gärten“. Der Ort für eine Romanze. Dann dunkel. Wenn es wieder hell wird, gehen die Türen auf. Onkel und Haushälterin stürmen abwechselnd auf die Bühne, schleudern ihre Sätze in den Raum, klippklapp, Tür auf, Tür zu: der Mechanismus einer Komödie. Wenn die drei Manolas, lebenslustige, junge Frauen, auf die Bühne kommen, wird das Stück zur Traumvision: Die Besucherinnen tragen Masken und tanzen mit Doña Rosita wie beim Hexensabbat. Der Abschied des Bräutigams wird pathetisch als verlogene Rhetorik herunterdeklamiert und dann Doña Rositas stumme Sehnsucht – durch Filmprojektionen auf die Gazewände sichtbar gemacht: Blütenblätter fallen, schöne nackte Männer- und Frauenkörper räkeln sich im Licht.
So wechseln am Anfang der Inszenierung die Darstellungsstile von Szene zu Szene. „Das Ganze zu Einzelteilen zerbrechen und ein anderes Ganzes werden lassen“, diese Maxime der Stückeschreiberin Streeruwitz gilt offensichtlich auch für die Regisseurin. Bis zur Pause gelingt es ihr auch, das Stück immer noch von einer neuen, überraschenden Seite zu zeigen. Doch später wird diese Ästhetik der Abwechslung vorhersehbar.
Drei alte Jungfern besuchen Doña Rosita und singen mit ihr das Lied von der Sprache der Blumen. Streeruwitz zerhackt die Szene mit Projektionen von Blüten in Großaufnahme. Immer wieder bestäubt ein Insekt den Blütenstempel, häßliche Brummer krabbeln über zarte Blütenhaut, ein Kolibri steckt seinen langen Schnabel in den Kelch, oder die Blütenknospe platzt im Zeitraffer, und ein Samenstengel schießt empor. Im Dunkeln dahinter kichern die Jungfern. Beim ersten Mal ist das noch komisch, doch bei der zwanzigsten Blüte stöhnt auch das gutwillige Publikum: schon wieder eine geile Pflanze!
Vor dem Schlußakt, in dem Doña Rosita nun alt und arm aus dem Haus ihrer Jugend ausziehen muß, fallen alle Draperien, schwarz und kahl bleibt die Bühne, und leider geizt auch die Inszenierung nun mit Einfällen. Der Besetzung des hinkenden Schulmeisters Don Martin, als Junggeselle und erfolgloser Schriftsteller eine Parallelfigur zu Doña Rosita, mit einem behinderten, kleinwüchsigen Schauspieler (Maximilian Osterritter), ist ein vergröbernder Effekt, der die Aufmerksamkeit nur von der Rolle auf den Darsteller lenkt. Der Abend zieht sich mit zähen Dialogen noch lange hin. Am Ende schließlich noch einmal das stumme Bild des Anfangs: die rosige Idylle, die Sehnsucht nach Erlösung durch den Geliebten, das Einverständnis mit der Passivität sind unausrottbar, selbst angesichts einer solchen zerstörten Frauenbiographie. Wie bei Tschechow sehen wir die zerstörerische Kraft schöner Ideale in einer verfallenden Gesellschaft.
Das Ungleichgewicht der beiden Teile der Inszenierung ist offensichtlich, das fehlende Gespür für den Rhythmus einer Aufführung zwar erklärlich, aber angesichts der Möglichkeiten, die die Inszenierung hätte, dennoch bedauerlich. Gerhard Preußer
Federico Carcia Lorca: „Doña Rosita bleibt ledig oder Die Sprache der Blumen“. Kölner Schauspiel (Kammerspiele); Inszenierung: Marlene Streeruwitz; Bühne und Kostüme: Mark Beard; mit Therese Dürrenberger, Anke Tegtmeyer, Evelyn Matzura; weitere Vorstellungen: 29.April, 2., 3., 12., 20. und 31.Mai
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