Weg mit dem Paragraphen 175

■ Sexualstrafrecht soll verändert werden

Bonn (AP/AFP/taz) – Der strafrechtliche Schutz von Jugendlichen vor sexueller Gewalt soll künftig auch in Deutschland unabhängig davon sein, ob es um hetero- oder homosexuelle „Beziehungen“ geht. Im Bundestag waren sich gestern Regierung und Opposition einig, daß der in Westdeutschland immer noch geltende Paragraph 175 gestrichen werden muß. Der Paragraph stellt homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe, wenn einer der Partner unter 18 Jahre alt ist. Das Schutzalter bei heterosexuellen Handlungen liegt dagegen bei 16 Jahren.

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) betonte gestern, die geplante Neuregelung stelle homo- und heterosexuelle Beziehungen gleich. Eine ersatzlose Aufhebung der west- und ostdeutschen Strafrechtsbestimmungen, wie sie Bündnis 90/Grüne/UFV und PDS forderten, würde „zu nicht hinnehmbaren Strafbarkeitslücken zu Lasten einer ungestörten sexuellen Entwicklung Jugendlicher führen“, warnte sie. In den neuen Bundesländern gilt bisher noch DDR- Strafrecht, wonach Jugendliche unter 16 Jahren vor sexueller Gewalt durch Ausnutzung ihrer moralischen Unreife geschützt sind.

Nach dem Regierungsentwurf soll Sexualität mit Jugendlichen unter 16 Jahren für über 18jährige strafbar sein, wenn diese eine „Zwangslage“ ausnutzen. Über 21jährige sollen bestraft werden können, wenn sie Jugendliche, die jünger als 16 sind, „unter Ausnutzung ihrer Unreife“ zu sexuellen Handlungen verleiten. Die SPD unterstützt dagegen den Gesetzentwurf des Bundesrates, der Sexualität mit Jugendlichen unter 16 für über 21jährige unter Strafe stellt, wenn diese eine Zwangslage ausnutzen oder Vorteile versprechen.

Der Bundestagsabgeordnete Jürgen Meier (SPD) betonte, der § 175 müsse als „Symbol der Unmenschlichkeit“ endlich verschwinden. Er erinnerte daran, daß er den Nazis als Grundlage dazu diente, Tausende von Schwulen in KZs zu deportieren. Den Gesetzentwurf der Regierung hielt er für „handwerklich mangelhaft“; insbesondere, da der Tatbestand der „Unreife“ unklar sei.

Die im Gesetzentwurf der Regierung ebenfalls vorgesehene Bestimmung, den sexuellen Mißbrauch von Kindern auch im Ausland unter Strafe zu stellen, soll von den Beratungen über die Jugendschutzvorschrift abgekoppelt werden. Der Rechtsausschuß des Parlaments hatte bereits am Mittwoch dieser Regelung zugestimmt. Sie soll zusammen mit dem Gesetz gegen Kinderpornographie möglichst bald in Kraft treten.

Der „Schwulenverband in Deutschland“ (SVD) kritisierte, daß alle Parlamentarier den Jugendschutz in den Vordergrund stellten. Die Gleichstellung von Homo- und Heterosexualität sei keine alleinige Frage des Strafrechts, sondern eine der Demokratie. SVD-Sprecher Volker Beck bescheinigte der Bundesrepublik, sie sei „schwulenpolitisches Entwicklungsland“, und verwies auf entsprechende Antidiskriminierungsgesetze in anderen europäischen Ländern und den USA. flo