: Keine Hilfe von kroatischen Nachbarn
In der ehemals friedlichen Stadt Vitez in Mittelbosnien wird gekämpft / Kroaten beschießen die Großstadt Zenica / Flucht und Vertreibung durch den Krieg im Krieg ■ Aus Vitez Erich Rathfelder
Noch vor zehn Tagen erschien das mittelbosnische Vitez ein Ort des Friedens zu sein. Die Stadt mit ihren rund 30.000 Einwohnern liegt weit genug von der Frontlinie entfernt, um von der serbischen Artillerie erreicht zu werden. Trotz gelegentlicher Auseinandersetzungen um das ehemalige Hotel, in dem die Armeeführung des „Kroatischen Verteidigungsrates“ HVO ihre regionale Zentrale hat, waren sich die meisten Bürger einig, daß in ihrer Stadt Platz für alle Nationen sei – trotz des Krieges. Die Stadt sei eben noch echt bosnisch, meinte damals auch die serbische Serviererin in dem Café an der Durchgangsstraße, die von Travnik nach Sarajevo führt: „Hier halten alle Leute zusammen, in meinem Lokal treffen sich alle, Kroaten, Muslimanen und Serben. Hier wird diskutiert, aber nicht geschossen.“
Heute ist davon nichts mehr zu spüren. Das Café ist geschlossen, einige der umliegenden Häuser durch Brände schwer beschädigt. Seit 15. April kämpfen die bislang offiziell verbündeten Kroaten und Muslimanen gegeneinander, allein in den Kämpfen um die Zentrale der HVO haben mehr als zweihundert Männer ihr Leben gelassen. Das Zentrum von Vitez ist weiter in kroatischer Hand, doch die Häuser sind verwüstet. In den umliegenden Dörfern, die sich in der Hand der Kroaten befinden, sind Mörserstellungen aufgebaut. Die 155-mm-Geschütze der HVO schießen vom Dorf Mosunj aus auf Zenica, die einzige bosnische Großstadt, die bisher vom Kriege verschont geblieben war. Allein am gestrigen Sonntag morgen wurden 15 Schüsse aus diesen Geschütze abgefeuert. Nur vereinzelt sind Menschen in Vitez zu entdecken. Sie drücken sich beim Laufen dicht an die Hauswände, hin und wieder ist ein Schuß zu hören. „Scharfschützen“, kommentiert ein britischer Soldat an der Kaserne der UN-Schutztruppen im Vorort Bila. „Wir durften nicht eingreifen, wir konnten nur einige Flüchtlinge schützen.“
„Es ist wahrscheinlich für Sie seltsam, Ihnen Flüchtlinge von gegenüber der Straße vorzustellen“, entschuldigt sich Dalma, eine 16jährige Schülerin. Das Haus in der schmalen Seitenstraße des von den Muslimanen gehaltenen Teils von Bila liegt gerade 100 Meter von dem Eingang der britischen Soldaten entfernt. „Dieser Umstand gibt uns wenigstens ein bißchen Sicherheit. Wir haben 332 Flüchtlinge aufgenommen.“
Zum Beispiel die Familie von Abdullah Haseljić. „Am Samstag, dem 17. April, wurde unser Haus beschossen. Wir hatten keine Wahl, wir mußten fliehen“, berichtet der bullige muslimische Metzgermeister, der es in den letzten 30 Jahren mit seiner Hände Arbeit zu ansehnlichem Wohlstand gebracht hatte. Vier Häuser nennt er sein eigen, den Laden, ein Ferienhäuschen mit großem Garten in den Bergen. „Das habe ich schon an die Serben verloren. Und jetzt sind auch die anderen vier Häuser weg.“ Seit einer Woche muß Haseljić hier leben, seitdem gibt er die Schnapsflasche nicht mehr aus der Hand. „Seinen Mercedes besitzt jetzt unser kroatischer Nachbar“, sagt seine Frau und zuckt nur mit den Achseln.
„Uns haben unsere kroatischen Nachbarn auch nicht geholfen, als die HVO unser Dorf überfiel“, berichten Hamza und Šamka Belić, „dabei haben wir doch unser ganzes Leben mit ihnen zusammengelebt.“ Das alte Ehepaar mußte am Sonntag, den 18. April alles stehen und liegen lassen, um aus ihrem Haus in Dunja Včerska, vier Kilometer von Vitez, zu fliehen. Ihren muslimanischen Nachbarn ging es nicht besser. „Seit 16. April haben sie auf unser Dorf mit Mörsern geschossen. Am 17. wurde der Stall getroffen, wir konnten gerade noch die Tiere retten.“ Als die kroatischen Truppen am blutigen Wochenende ins Dorf kamen, blieb ihnen nur als die Flucht. Aus der Ferne sahen sie noch, wie ihr Haus in Flammen aufging.
Heute sind wieder Rauchschwaden über dem Dorf zu sehen. Die Straße in Richtung Sarajevo führt kaum einen Kilometer am Ort vorbei. Autos fahren auf ihr nicht mehr. Die Fenster der umliegenden Häuser sind mit den Stämmen junger Bäume oder mit langen Brettern verbarrikadiert. Auf den Wiesen liegen vereinzelt tote Kühe. Ein gespenstisches Bild.
Das Massaker von Ahmići
Nur die Panzer der britischen Armee, die Jeeps einer Delegation des Weltsicherheitsrates und die der JournalistInnen aus aller Welt durchbrechen am Samstag nachmittag die bedrückende Stille. Die Delegation soll zum Ort eines Massakers gebracht werden. Wir biegen in die Straße, die zum Dorf Ahmići führt. Geschwärzte Fensterhöhlen starren uns entgegen, die meisten Häuser sind bis auf die Grundmauern abgebrannt. Der Zug stoppt vor der Moschee, deren Turm fachgerecht gesprengt wurde. In einem Haus auf der Anhöhe werden uns drei verkohlte Leichen gezeigt. Sie liegen zusammengekrümmt auf der Eingangstreppe. „Diese Menschen wurden“, so der britische Major Robertson, „lebendig in dem Haus verbrannt.“ Die kroatischen Kämpfer seien systematisch vorgegangen. Nur ein von einer kroatischen Familie bewohntes Haus ist stehengeblieben. Über 40 Leichen hat die UNPROFOR schon aus den Trümmern geborgen. Die Überlebenden der 400 BewohnerInnen des Dorfes seien vor der vorrückenden kroatischen Soldateska nach Zenica geflüchtet. Der Überfall begann, nachdem Einheiten der HVO aus Zenica vertrieben worden waren. Über 30 Kroaten sollen gefallen sein. Ist das die Rache der in Zenica Geschlagenen? Nicht auszuschließen sei, so der britische Offizier, daß auch die Kroaten aus den Nachbardörfern den Angriff unterstützten. Daß in den Häusern keine Habe mehr zu finden sei, deute darauf hin.
Angesichts dieses Erlebnisses findet der Vorsitzende des Sicherheitsausschusses der Vereinten Nationen, der Venezolaner Humberto, scharfe Worte. „Ethnische Säuberung“, so sagte er, ist ein Euphemismus, dies ist reiner Mord und Vandalismus.“ Schon zu lange habe die Weltgemeinschaft dem Treiben hier zugesehen. „Es ist an der Zeit, etwas zu tun.“ Die Tatsache jedoch, daß die Artilleriegeschosse auf Zenica in unmittelbarer Nähe der UNPROFOR-Basis in Vitez abgefeuert werden, zeigt wieder einmal die Fallstricke der UNO-Politik. Die UNO müßte den Auftrag der UNO-Truppen vor Ort sofort ändern, um gegen die Desperadoarmee HVO und die serbischen Tschetniks in anderen Landesteilen vorgehen zu können. Deutet die Äußerung des Sicherheitsratsmitgliedes auf ernsthafte Überlegungen, die lange erwartete und von vielen Menschen vor Ort ersehnte Intervention internationaler Streitkräfte zu verwirklichen? Keiner der mitgereisten Diplomaten bezweifelt es. Tatsache ist jedenfalls, daß dieses kroatische Massaker der serbischen Seite hilft, die Erinnerung an die eigenen Verbrechen verblassen zu lassen. Für die UNO hat sich seit dem Massaker von Ahmići die Lage verkompliziert. Der Gesprächsfaden zwischen Serben und Kroaten in Bosnien ist nie abgerissen, wie dies der Verteidigungsminister der selbsternannten Republik Herceg Bosna, Jadranko Prlić, erst am letzten Freitag bei einem persönlichen Gespräch in Mostar bestätigte. Ist Mate Boban, der selbsternannte „Präsident“ der international nicht anerkannten „Republik Herceg-Bosna“ dabei, gegen den Willen der kroatischen Regierung in Zagreb die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas zwischen Serben und Kroaten zu betreiben? Ist er dabei, eine Entscheidung des Weltsicherheitsrates, das Waffenembargo gegen die muslimanisch-bosnische Armee aufzuheben, zu verhindern?
Prlić will davon nichts wissen. Er bekundet Verhandlungsbereitschaft und er bestreitet, daß Mate Boban der moslemisch-bosnischen Seite ein Ultimatum für den 15. April gestellt hat. Nach Angaben aus Sarajevo sollte die bosnische Armee sich gemäß den Forderungen Bobans aus den vom Vance- Owen-Plan den kroatischen Provinzen zugesprochenen Gebieten zurückziehen. Es habe seit dem 3. April lediglich einen „Vorschlag“ gegeben, meint Prlić.
Das blutige Wochenende vom 17./18. April und die fortdauernden Kämpfe in Zenica, Busovaca, Konjic, Jablanica, Kiseljak und Vitez bestätigen das Gegenteil. Das von einer kroatisch-muslimischen Bevölkerung bewohnte Mittelbosnien wird nun von der kroatischen Seite beansprucht. „Im Vance- Owen-Plan steht nicht die Absicht, ethnische Provinzen zu schaffen, er wurde aber dementsprechend interpretiert“, hatte schon vor Wochen der bosnische Vizepremier Zlatko Lagumdžia erklärt. Viele Kroaten Bosniens glauben nun, aus den von „der Welt uns zugesprochenen Provinzen“ müßten nun die „anderen“ verschwinden. In Ahmići ist der traurige Beweis dafür zu finden.
„Die Muslimanen müssen sich mit den gleichen Mitteln wehren“, hatte vor drei Wochen der Herausgeber der Wochenzeitung Slobodna Bosna – Freies Bosnien, gefordert. „Am blutigen Wochenende kamen sie von allen Seiten auf unser Dorf Brdo zu, das dort, drei Kilometer von Vitez am Fuße der Berge liegt“, berichtet Manda Stojak, eine 35jährige Mutter von zwei Kindern. Alle Kroaten und sie als letzte Serbin flüchteten in Richtung des kroatischen Dorfes Zabilje. „Sie haben mein Haus angesteckt. Sie haben allen unseren Besitz geraubt“, erklärt auch die Kroatin Lubica Petras, die aus dem gleichen Dorf stammt und vier Kinder in Sicherheit bringen konnte. Beide Frauen versuchten in den nächsten Tagen noch Sachen aus dem Haus zu holen. „Meinem Schwiegervater wurde dabei durch das Bein geschossen.“ Ermordet jedoch wurde niemand.
Auch Kroaten werden vertrieben
Auf dem Hügel, so gibt sie zu, waren Soldaten der HVO mit einem Granatwerfer stationert. „Die hatten die moslemischen Dörfer schon seit Tagen beschossen“, bestätigte auch ein bosnischer Kämpfer einer Territorialeinheit. Erst daraufhin sei die Operation gestartet worden, der Granatwerfer sei nun ausgeschaltet. Daß 400 Menschen damit ihr Heim verloren haben, stört ihn weiter nicht. „Sollen wir uns denn wieder beschießen lassen?“
Die Lage in Mittelbosnien hat sich verkompliziert. Nach dem Ultimatum Bobans und dem Massaker von Ahmići hat sich ein Krieg der Nachbarn gegen Nachbarn entwickelt, der auch von beiden ehemals verbündeten Armeen der kroatischen HVO und der bosnischen Armee nicht mehr völlig zu kontrollieren ist. Abzustellen wäre jedoch der Artilleriebeschuß von Zenica. Daß dies nicht geschieht, wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf die politische Denkweise der westherzegowinisch-kroatischen Führung.
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