Jelzin siegt auf halber Linie

■ Referendum bringt Vertrauensbeweis für Jelzin, aber keine Neuwahlen des Parlaments

Moskau (taz) – Knapper hätte das Ergebnis des Referendums wohl kaum ausfallen können: Um nur zwei bis drei Prozent scheint der russische Präsident Boris Jelzin sein Ziel, vorgezogene Neuwahlen des Parlaments durchzuführen, verfehlt zu haben. Zwar stimmten – nach ersten Hochrechnungen – bei einer Wahlbeteiligung von 62 Prozent rund 70 Prozent der russischen Wählerinnen und Wähler am Sonntag für diese Neuwahlen, nach einem Urteil des Verfassungsgerichtes wären jedoch 50 Prozent der Wahlberechtigten notwendig gewesen.

Dennoch könnte Jelzin nun, gestärkt durch einen eindeutigen Vertrauensbeweis der BürgerInnen, versuchen, Neuwahlen durchzusetzen. So erhielt er in den beiden größten Städten des Landes, in Moskau und St. Petersburg, rund 74 Prozent der Stimmen, in seiner Heimatstadt Jekaterinenburg, dem früheren Swerdlowsk, waren es sogar 88 Prozent. Verschiedenen Meinungsumfragen zufolge sprachen landesweit zwischen 63 und 75 Prozent der Wähler dem Präsidenten ihr Vertrauen aus, laut den ersten vorläufigen amtlichen Abstimmungsergebnissen waren es dagegen 58 Prozent. 56 Prozent bestätigten (laut Meinungsumfragen) die Wirtschaftsreformen Jelzins. Für vorgezogene Neuwahlen des Präsidenten stimmten 44 Prozent. Weniger Zustimmung – ganze 32 Prozent – erhielt der Präsident in der Amur-Region. In der Kaukasus-Republik Tschetschenien, die im Vorjahr den russischen Föderationsvertrag nicht unterzeichnet hatte, wurde gar nicht erst abgestimmt. In Tatarstan, einer überwiegend von Moslems bewohnten Republik, gingen nur 21 Prozent der 2,6 Millionen Wahlberechtigten zu den Urnen.

Nach Berichten der zentralen Wahlkommission in Moskau kam es während der Abstimmung im ganzen Land zu „Unregelmäßigkeiten“. Diese seien insgesamt jedoch als so unbedeutend zu bewerten, daß sie das Gesamtergebnis nicht in Frage stellten. In Tula wurden ausländische Wahlbeobachter trotz offizieller Unterlagen daran gehindert, das Abstimmungslokal zu betreten. Im sibirischen Tscheliabinsk wurden internationale Beobachter mit Gelächter empfangen, eines der dortigen Wahllokale war mit Leitartikeln der ultra-konservativen Zeitung Sowjetskaja Rossija ausgeschmückt. In Murmansk, an der russisch-finnischen Grenze, weigerte sich der Vorsitzende der örtlichen Wahlkommission, den Beobachtern die Ergebnisse der Abstimmung bekanntzugeben.

Bereits wenige Stunden nach Schließung der Abstimmungslokale bekräftigte der amerikanische Präsident Bill Clinton seine Unterstützung für Boris Jelzin. Die USA könnten es sich nicht „leisten, sich aus dem Kampf zurückzuziehen“. Allerdings habe er in den letzten Tagen absichtlich keinen direkten Gesprächskontakt mit Boris Jelzin aufgenommen, weil er davon negative Auswirkungen auf den Ausgang des Referendums befürchtete.

Als „erfreulich“ bezeichnete Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) den Ausgang des Referendums. Es habe sich gezeigt, „daß unsere Politik der Unterstützung Jelzins richtig war und ist“. Seiten 3 und 10