: Voll für Otto & Olli
■ Warum die Stadtbibliothek in Rechlin dicht hatte
Wenn jetzt was passiert wäre? Wenn irgendwas Schlimmes im kleinen mecklenburgischen Örtchen Rechlin passiert wäre? Wo Frau Grählert doch nicht da war. Die SPD-Ortsvereinsvorsitzende. Im Gemeinderat. Und die einzige Bibliothekarin. Nicht auszudenken, was hätte geschehen können. Denn Frau Grählert wollte Werder gegen Bayern sehen. Ihr Traum. DAS Spiel. Und die Bibliothek blieb zu.
In Rechlin am schönen Müritzsee ist Frau Grählert der einzige Werder-Fan. Es gibt auch einen Bayern-Fan, aber den nimmt keiner ernst. „Die Bayern sind doch moralisch untendurch. Da geht es doch nur ums Geld.“ Tja. Aber Werder. Bescheiden, keine Skandale. Weiß Frau Grählert alles. Werder-Fan ist sie schon lange: „Einmal waren sie auf dem sechzehnten Platz. Aber ich habe zu ihnen gehalten.“ Einmal hat Bremen gegen Rostock gespielt. In Rostock. Frau Grählert war da: „Mitten in den Rostocker Fans habe ich für Otto und Olli geschrien.“ Und 1987, lange vor der Wende, da war Frau Grählert schon mal in Bremen. Werder gegen Stuttgart. Da hat sie Willi Lemke an der Bratwurstbude entdeckt, und Wontorra und Rehhagel. „Da bin ich einfach hingegangen und hab gesagt, guten Tag, ich bin Frau Grählert aus der DDR und wollte Sie mal kennenlernen.“ Und Willi Lemke hat ihr seine Frau vorgestellt. „Heute wird er sich wohl kaum noch an mich erinnern.“
Überhaupt der Otto. Hach, so ein Mann. In ganz Rechlin wird sie schon aufgezogen wegen Otto. Am Ostertorsteinweg ist sie am Montag langgegangen, ob man Otto vielleicht frühstücken sieht. Aber leider. Frau Grählerts Mann ist Schulleiter in Rechlin. Der sagt immer: „Du und dein Otto.“ Stattdessen hat Frau Grählert eingekauft. Einen Werder-Schirm. Einen Schal. Eine Anstecknadel. Eine Tasse. Eine Fahne. Die Sachen kommen in die Garagenkneipe, wo sich die Rechliner abends immer treffen. Denn eine richtige Kneipe gibt es da nicht. Nur Arbeitslose. Über fünfzig Prozent.
Und jetzt DIESES Spiel. Vorher hatte Frau Grählert gesagt: „Wenn sie gegen Bayern zwei eins verlieren, ist es immer noch meisterlich.“ Aber damit, daß es so kam, hat ja nun keiner gerechnet. Worüber beim nächsten Treffen des SPD-Ortsvereins Rechlin geredet wird, das kann man sich ja jetzt denken. Auf der Rückfahrt konnte sich Frau Grählert gar nicht beruhigen. So ein toller Tag. Aber einen kleinen Wermutstropfen hat das Ganze doch: „Also nach diesem Spiel, da bin ich manchmal ganz traurig, weil ich denke: Diese Mannschaft wird nie in Rechlin spielen. Nie.“ Lutz G. Wetzel
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