: Sex, Pickel und Video
■ Das Videokunstforum Blue Box zeigt ein Programm mit „Lustvideos“ / „Buten und Binnen“ verzichtet freiwillig
Die Kamera rückt uns arg auf die Pelle — im „Pickelporno“. In extremen Großaufnahmen ragen da Hautschwellungen wie Berge auf, Härchen werden zu Wäldern und Fältchen zu Abgründen. Rasante Fahrten immer an der Haut lang wirken wie Tiefflüge über schwitzende Landschaften. Ein Finger dringt in eine saftige Wassermelone ein, und die Ritzen, Öffnungen oder Ausbuchtungen des menschlichen Körpers hat man wohl noch nie so fremdartig und hyperreal gesehen.
Die Schweizer Videokünstlerin Pipilotti Rist hat ein diebisches Vergnügen daran, ihrem Publikum die altbekannte erotische Begegnung zweier Menschen als eine wundersame Reise zu zeigen. „Mit einer Respektlosigkeit gegenüber der Technik reite ich der Sonne im Computer entgegen“ — so beschreibt sie selber ihre 12 Minuten lange Mischung aus Videoanimation, Pop-Farben und surrealen Collagen. Mikro- und Makrokosmos werden da wild durcheinandergewirbelt, und so gesellen sich Mondkrater zu Hautunreinheiten, Bergkuppen zu den Rillenmustern eines Fingers und die Weltkugel ruht zwischen Frauenschenkeln.
Offensichtliche Analogien wie Obst / Busen stehen neben rätselhaften Assoziationen aber ein Bild verweigert uns die Videokünstlerin: der Schalk in ihrem Nacken muß verboten schön sein.
Der zweite Programmpunkt ist technisch ebenso virtous, aber mit einer grüblerischen Schwere voller Selbstzweifel und Ekel befrachtet, die das Video „Pars Pro Toto“ von Veit Lup zu einer schweren Kost werden läßt. In seinen Reflexionen über die männliche Sexualität wird einem aus einer Karotte geschnitztem Penis genauso übel mitgespielt, wie den beiden Hühnereiern, die natürlich die Hoden symbolisieren: Die Karotte wird zuerst gekreuzigt und dann verspeist, wobei die Hoden als Spiegeleier gereicht werden.
Die ZuschauerInnen seien zudem vor den dokumentarischen Aufnahmen einer Penisimplantation gewarnt, die so unvermittelt eingeschnitten wurden, daß ein zartbesaiteter Zuschauer (wie ich) gar nicht schnell genug wegkucken kann.
Das Programm wird abgerundet durch sieben kurze Produktionen aus dem Projekt „Instant Karma“ des Dänischen Film Institut. In einem Tag für die Aufnahmen und einem Tag für den Schnitt mußten die zwei bis sechs Minuten langen Videos fertiggestellt werden. In „Svaerm“ sind etwa drei Paare zu sehen, die umeinander „schwärmen“, ohne wirklich Kontakt miteinander zu bekommen. In „Frokostpausen“ sind zwei Männer auf einer Parkbank bei ihrer Frühstückspause zu beobachten, die so böse und witzig endet, daß das „Buten und Binnen“ Team bei der Pressevorführung auch hierbei gleich bedauernd abwinkte.
Heute abend um 20 Uhr werden also im Kino 46 Videos zu sehen sein, die schlichtweg zu scharf sind, um im Bremer Regionalfernsehen auch nur in Auschnittens gezeigt zu werden. Wilfried Hippen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen