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Gedenktafel-Farce, dritter Teil

■ Tafel für Heinrich Stahl enthält falschen Ort, falsche Amtszeit und falsches Geburtsdatum

Neukölln. Das hat Heinrich Stahl nicht verdient. Die Gedenktafel, die ihm zu Ehren und anläßlich der Wiederkehr seines 125. Geburtstages in Neukölln aufgehängt wurde, enthält noch einen dritten gravierenden Fehler. Heinrich Stahl wurde nicht, wie auf der Tafel zu lesen, 1886 geboren, sondern fast eine Generation früher, nämlich 1868. Damit hält die Erinnerungstafel den Berliner Rekord an Unstimmigkeiten.

Erstens: Das Geburtshaus von Heinrich Stahl steht nicht in Alt- Rudow 43, sondern in Alt-Rudow 41. Wie berichtet, hatte sich der Besitzer des richtigen Grundstückes aus Angst vor Nazischmierereien und aus Sorge um die Eternitplatten gegen eine Erinnerungstafel an seinem Haus gestemmt. Zweitens: Heinrich Stahl war nicht Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin von 1933 bis 1942, sondern er war dies bis 1940. (taz v. 23.4.) Von Bedeutung ist das Rücktrittsdatum deswegen, weil Heinrich Stahl aus politischen Gründen zurücktrat. „Er wollte nicht im entferntesten in den Geruch der Kollaboration mit den Nazis geraten“, schrieb Hermann Simon, Leiter des Centrum Judaicums in der Festschrift zum 125. Geburtstag für Stahl. Die von den Nationalsozialisten verfügte Zwangsintegrierung der Gemeinde in die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland konnte er nicht akzeptieren.

Und jetzt drittens: ein schlichter Rechenfehler. Durch die Verdrehung der Zahlen hat man den Mann, zu dessen Geburtstag 23 über die ganze Welt verstreute Nachkommen eigens nach Berlin geflogen sind, 18 Jahre jünger gemacht. Und bei der feierlichen Enthüllung am Freitag haben dies weder die Festredner vom Bezirksamt Neukölln noch die Familienangehörigen gemerkt.

In ihrer ganzen Dimension erkennt man die Peinlichkeit, wenn die Vorgeschichte berücksichtigt wird. Denn der Text wurde vom Bezirksamt Neukölln, bevor er bei der KPM für 1.500 Mark in Auftrag gegeben wurde, sowohl vom Centrum Judaicum als auch von der Historischen Kommission begutachtet. Und beide Institutionen, deren Anliegen es ist, Geschichte sichtbar zu machen, gaben ihren Segen.

Volksbildungsstadtrat Wolfgang Schimmang (SPD), für die Gedenktafeln in seinem Bezirk zuständig, fiel gestern fast vom Stuhl, als er von der taz den letzten Fehler erfuhr. Eine Generalrevision des Textes wäre frühestens im Herbst möglich, sagte er. Denn dann wird das Haus Alt-Rudow 43 grundlegend umgebaut, die Tafel muß ohnehin verschwinden. Mit dem Besitzer stehe man über die Anbringung einer erneuerten Gedenkplakette in Verhandlungen. aku

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