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Links, dort wo das „Ja“ steht

Bei der Urabstimmung in der ostdeutschen Metall- und Stahlindustrie zeichnet sich ein klares Votum für Streik ab / Sorge bei „Pactec“ in Dresden: „Es muß sein, aber es ist gefährlich“  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Schichtwechsel bei Pactec. In der Kleinteilefertigung des Dresdner Verpackungsmaschinenwerkes ist die fliegende Wahlurne des Betriebsrates angekommen. Die Kollegen halten sich nicht lange bei der Vorrede auf. Sie legen ihre Mitgliedskärtchen der IG Metall auf die Werkbank, nehmen den Stimmschein entgegen und machen ihr Kreuz. Auf die linke Seite, dort, wo „Ja“ steht. „Ja“ zum Streik für den Stufen-Tarifvertrag, der von den Unternehmern einseitig gekündigt worden ist.

Die Streikpremiere der ostdeutschen Industrie steht nun vor der Tür. Daran zweifelt niemand. Hier und in anderen Bereichen war auch am gestrigen zweiten Tag der Urabstimmung die Wahlbeteiligung hoch. Heute um 14 Uhr werden die Ergebnisse von der IG Metall bekanntgegeben.

Hans-Jürgen Haupt kehrt die Späne an seiner Fräsmaschine zusammen und freut sich auf den Feierabend. Den bevorstehenden Streik sieht er mit Sorge. „Es muß sein, aber es ist gefährlich, zu streiken in einem Treuhandbetrieb. Wir streiken, und die machen den Betrieb zu und sagen: Ihr habt es ja so gewollt.“ Über 26 oder wieviel Prozent auch immer möchte er heute überhaupt nicht diskutieren. „Ich habe keine 30 Tage Urlaub und habe kein Urlaubsgeld, ich habe die 40-Stunden-Woche und nicht 37. Unterm Strich kommen vielleicht 18 Prozent heraus und nicht 26 Prozent. Angst um den Arbeitsplatz haben wir hier alle, aber wir können uns doch nicht völlig unterbuttern lassen.“

Auch Jürgen Otto steckt seinen Stimmschein in die Kiste mit dem IG-Metall-Aufkleber: „Für die soziale Einheit Deutschlands“. Seiner Meinung nach wollen die Arbeitgeber „erst mal bei den dummen Ossis“ versuchen, den Tarifvertrag zu brechen, „und dann machen sie es überall so.“ Diese Pläne soll der Metaller-Streik durchkreuzen. „Irgendwie muß man sich ja wehren. Alles wird teurer, die Mieten steigen, die Preise“, begründet er die gereizte Stimmung in der Werkhalle. An der starren Haltung der Unternehmer sieht er nicht die Geschäftsleitung von Pactec schuldig. „Das wird doch woanders gelenkt, in Köln und bei der Treuhand.“

Pactec steckt mit anderen Firmen unter dem Dach einer Management & Co. KG der Treuhand. Erklärtes Ziel ist, die Betriebe bald zu verkaufen. „Wir wollen keine überhastete Privatisierung“, erklärt Betriebsrat Ralf Lindner. „Der Gesellschafter bekommt bei jedem Verkauf 25 Prozent der Verkaufssumme ausgezahlt. Aber wir haben nun oft genug erlebt, daß Betriebe nach der Privatisierung vom Käufer plattgemacht wurden.“

Die Pactec-Werker sehen ihre Lage ohne alle Schnörkel. „Was wird denn beim Streik eigentlich mit der Messe?“ erkundigt sich Hans-Jürgen Haupt beim Betriebsrat, „wenn dort unsere Maschinen nicht erscheinen, dann können wir uns gleich...“ Er macht eine Bewegung mit der Hand wie „Strick nehmen“. Der Betriebsrat beruhigt ihn. Die Messeneuheiten von Pactec werden auf jeden Fall zur Interpack nach Düsseldorf gehen. Dazu gebe es eine Vereinbarung mit der IG Metall. Der Streik soll keinesfalls am Strohhalm der Dresdner Verpackungsmaschinenbauer zündeln.

„Tüchtige Hektik“ habe es in den vergangenen Wochen gegeben, um die Messemaschinen fertigzustellen, erinnert sich Jürgen Otto. Vom Ergebnis der Messe hängt auch ab, wie viele der 500 von einst 3.000 KollegInnen noch in dem traditionsreichen Betrieb bleiben werden.

Zu ihnen gehört der vietnamesische Arbeiter Cam Duong. Er habe „die gleiche Meinung wie meine Kollegen zu dem Streik“. Das Leben werde für ihn und seine junge Familie immer teurer, da brauche man eine verläßliche Perspektive in der Lohntüte. „Dabei geht es uns weniger um die 26 Prozent“, stellt der Betriebsrat klar, „sondern um den Stufenplan für die Angleichung der Lebensverhältnisse.“ Wenn die Kündigung dieses Fahrplanes der deutschen Einheit vom Tisch ist, „kann man sich über die 26 Prozent unterhalten“.

Doch genau in dieser Frage hat es im Vorfeld der Urabstimmung keine Bewegung auf der anderen Seite gegeben. Die Kollegen bei Pactec fühlen sich durchaus nicht an der „langen Leine“ der Frankfurter IG-Metall-Zentrale. „Nein, die Arbeitgeber in Sachsen haben doch das Spitzengespräch zwischen Gottschol und Steinkühler verhindert“, entgegnet der Betriebsrat. „Nachdem Gesamtmetall den sächsischen Kompromißvorschlag gekippt hatte und der Chef des sächsischen Unternehmerverbandes gehen mußte, ist dem letzten Zweifler klar geworden: Die wollen gar keine Lösung.“

Was sich in dieser Mittagsstunde bei Pactec abzeichnet, kann die Sprecherin der sächsischen IG Metall, Marlis Dahne, auch für die anderen Betriebe des Tarifbezirks bestätigen. Das Ergebnis gibt es erst Mittwoch nachmittag. Doch was Betriebsräte und Vertrauensleute bisher berichteten, spreche für eine hohe Beteiligung und ein klares Votum der Metaller und Stahlwerker. „Wo ist die Urne?“ Mit diesen Worten hätten schon morgens viele KollegInnen ihren Betrieb betreten. Den Chefs hält die Gewerkschafterin zugute, daß sie die Urabstimmung bis auf wenige Ausnahmen auf den Betriebsgeländen zugelassen haben.

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