: Lokalkoloratur
■ Sportpresse und der Hamburger Rothenbaum
LOKALKOLORATUR
Die Sonne bescheint den Centre- Court und Carlos Santana ist auch nirgends zu sehen. Die Szenerie ist perfekt und angemessen, das macht zwei Geschichten weniger als im Vorjahr. Damals ließ sich ausgiebigst über die Regenfälle lamentieren, über die Trainingsstunde, die Latin-King Carlos von Stefanie Graf erhielt und über deren Tanzeinlage auf der Bühne der Alsterdorfer Sporthalle, die dem Santana-Gig erst den richtigen Schliff verlieh — das war Boulevard pur. Ein Geschenk des wirklichen Lebens. Doch was macht die Fachjournaille, wenn solcherlei Geschenke ausbleiben? Schließlich sitzt man nicht vor den Bildschirmen, aus denen die bunten Bilder herauskommen, sondern vor denen, in die die schwarzen Buchstaben eingegeben werden müssen. Diese sollen am nächsten Morgen das Grau vor den Augen des U-Bahnnutzers colorieren. Prominenz ist am Rothenbaum weit und breit nicht auszumachen. Und die U-Bahnfahrerinnen wollen schließlich nichts wissen von dem den Court bevölkernden gemeinen Bürgertum, zu erkennen an der unbedingten Parteilichkeit für alles deutsche und an den Pöbeleien, die alle trifft, die es wagen ihre Füße auf die grünen Schalensitze zu legen, ohne diese hernach zu reinigen. Zu glanzlos und vertraut ist diese Art von Charme.
Das Füllen der Seiten wird also sehr, sehr hart. Da muß auf Basiswissen zurückgegriffen werden. Langsam die Presseverpflegung — Milchreis, Erbsensuppe und Bier — ausschwitzend, während die gelichtete Stirn in der Sonne den Rotton der den Court säumenden Geranien annimmt, geben sich die Medienarbeiter ihrer Trägheit hin. Hier wird nicht applaudiert. Ein unangenehmer Geruch breitet sich indes auf der Pressetribüne aus. Huch, keiner hat daran gedacht, sich einen Deoroller mitzubringen. Unter den Augen, um die Hosennaht und zwischen Sitz und Po sammelt sich das Wasser. „Mann ist die dick, Mann“, stöhnt einer, einem Manfred Deix-Model nicht unähnlich, mit Blick auf Judith Wiesner. Alle werden es am nächsten Tag in breiten Lettern lesen können. Was wir daraus lernen? So gebiert man Ideen, oder: Wenn die Dummheit auf dem Court wuchert. C.T.
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