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Opfer, die in keiner Statistik auftauchen

■ Hamburgs Polizeiführung übersieht Gewalttaten gegen Schwule. Verbände fordern die Benennung eines Kontaktbeamten für Homosexuelle.

. Verbände fordern die Benennung eines Kontaktbeamten für Homosexuelle.

Gerd* und Christian waren kurz vor Katherinas Kneipe in St. Pauli, als fünf entgegenkommende Jugendliche eine Rempelei provozierten. Ohne Vorwarnung schlugen die Täter zu und beschimpften ihre beiden Opfer mit „schwule Arschficker“ und anderen schwulenfeindlichen Ausdrücken. Der Angriff kam so überraschend, daß Gerd und Christian nicht einmal ihre Karate-Kenntnisse anwenden konnten. Als alles vorbei war, hatten sie Prellungen, Gerd ein angerissenes Trommelfell und Christian einen abgebrochenen Zahn.

Dieser Überfall ist symptomatisch für Gewalttaten gegen Schwule. Wie Bastian Finke vom schwulen Überfalltelefon in Berlin erzählt, sind die Täter fast immer männliche Jugendliche bis zu 20 Jahren, und meist sind sie nur in der Gruppe mutig genug für einen Angriff. Während es in Ostberlin fast immer Deutsche sind, die zuschlagen, fällt im Westteil — wie auch in Hamburg — der hohe Ausländeranteil unter den Tätern auf.

Auf den Revieren werden viele Opfer diskriminiert

Die Zahl der Überfälle ist gestiegen. Im letzten Jahr registrierte das Berliner Überfalltelefon 211 Gewalttaten gegen Schwule (1991: 181); in Köln wurden 122 Überfälle festgehalten (1991: 83).

In Hamburg gibt es kein schwules Überfalltelefon und deshalb auch keine zuverlässigen Zahlen. Viele Opfer wenden sich an die allgemeinen Beratungsstellen für Schwule. Beim Infoladen „Hein & Fiete“ etwa wird monatlich eine solche Gewalttat gemeldet, im Magnus-Hirschfeld-Centrum (MHC) waren es 1992 insgesamt fünf. Drei Opfer aus Hamburg riefen im letzten Jahr sogar beim Überfalltelefon in Berlin an.

„Die meisten Überfälle passieren im Stadtpark und im BAT-Park am Dammtorbahnhof“, erzählt Rolf Winiarski von der Beratungsstelle des MHC. Also dort, wo manche Schwule in den Abendstunden anonymen Sex suchen. „Aber auch in St. Pauli passiert eine Menge“, weiß er aus seiner früheren Mitarbeit in der Gruppe „Gewalt gegen Schwule — Schwule gegen Gewalt“. Fragt man nach den Gründen für diese Überfälle, werden vor allem zwei Motive genannt. Da sind einmal die Probleme der Täter mit der eigenen Sexualität. „Mit den Angriffen gegen Schwule versuchen viele der jugendlichen Gewalttäter, ihre eigenen schwulen Anteile zu vernichten“, sagt Volker Beck,

1Sprecher des Schwulenverbandes in Deutschland. Ein anderes Motiv nennt Heinz Uth, Kontaktbeamter der Berliner Polizei für Homosexuelle: „Die Opfer wollen oft nicht als Schwule erkannt werden und scheuen deshalb den Weg zur Polizei. Andere haben Angst vor Diskriminierung in den Revieren. Ein erfolgsorientierter Täter sucht sich natürlich bevorzugt Opfer aus, die seine Tat nicht anzeigen.“

In Berlin wurden aus dieser Erkenntnis erste Konsequenzen gezogen. Eine davon war die Benennung von Uth zum Kontaktbeamten. Er geht Meldungen von Opfern nach, die sich von der Polizei diskriminiert fühlen, kann Anrufern

1schwule oder lesbische KollegInnen in den Revieren nennen und nimmt selbst Anzeigen entgegen. Uth hält regelmäßigen Kontakt zu Beratungsstellen für Schwule und besucht schwule Lokale. „Wenn es ab Mai in den Parks wieder losgeht, gibt es auch für uns dort mehr zu tun. Für diese Arbeit setzen wir überwiegend schwule Kollegen ein“, sagt er. Der Berliner Kontaktbeamte wirbt für Toleranz auf beiden Seiten. Darum kümmert er sich auch um die Aus- und Fortbildung von Kollegen. Einem niederländischen Modell folgend wurden im Dezember erstmals Polizisten für den Umgang mit Homosexuellen geschult. Ziel ist ein Ausbil-

1dungsprogramm für alle 1000 Beamten, die jährlich in Berlin eingestellt werden. Die Aufklärungsarbeit der Berliner Polizei wird von der Schwulenbewegung durchgehend positiv bewertet. Auch Uth ist zufrieden: „Ich kann die Erfolge zwar nicht an Zahlen messen, da wir keine Opferstatistik führen. Ich merke aber, daß das Verständnis füreinander auf Seiten der Schwulen und der Polizei gewachsen ist.“ Das Problem der Gewalt gegen Schwule sieht er allerdings nicht nur in Berlin: „Ich halte alle Großstädte für gleich, was die Gefährdung Homosexueller durch Gewalt angeht.“ Andere Städte sind dem Berliner Beispiel gefolgt. So gibt es auch in Frankfurt, Köln, Stuttgart und Karlsruhe inzwischen Kontaktbeamte für Homosexuelle.

Bei der Hamburger Polizei sieht man das allerdings anders. Gewalt gegen Schwule ist hier kein Thema. Eine entsprechende Anfrage an den Innensenator Werner Hackmann wird von dessen Pressesprecher an die Polizei weitergeschickt. Deren Polizeipressesprecher, Werner Jantosch, verweist wiederum auf die Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der GAL vom April 1992. Darin wird festgestellt, daß dem Senat „keine konkreten Erkenntnisse“ darüber vorliegen, daß Homosexuelle überdurchschnittlich häufig Opfer von Gewalttaten werden. Auch über ein Vertrauensdefizit der Schwulen gegenüber der Polizei weiß man nichts. Und weil das

Kontaktbeamte würden zur Entspannung beitragen

Problem nicht gesehen wird, ist es nur konsequent, daß für eine spezifische Schulung von Polizeibeamten oder die Benennung eines Kontaktbeamten kein Bedarf gesehen wird.

Die Opfer schwuler Gewalt können allerdings nicht verstehen, daß es sie offiziell gar nicht gibt.

Frank ist im Stadtpark verprügelt worden. Angezeigt hat er die Tat nicht, weil sein Freund „äußerst

1schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht“ hat. José dagegen hat Anzeige erstattet (s. Interview). Aber obwohl er mehrfach darauf hinwies, daß er als Schwuler überfallen wurde, wurde dies nicht aufgenommen. Die Pressestelle des Polizeipräsidiums teilte dazu mit: „Es ist zwar im Laufe eines Streites im Imbiß der Name ,Schwuler‘ gefallen. Die Ermittlungen haben aber keinesfalls ergeben, daß das Opfer ein Schwuler war oder daß hier eine Straftat vorliegt, die gegen einen Schwulen gerichtet war.“ „Diese Antwort zeugt von Ignoranz“, stellt Rüdiger Hülskamp vom Infoladen „Hein & Fiete“ fest. „Die Katze beißt sich doch in den Schwanz, wenn einerseits gemeldete Fälle nicht als solche registriert werden und man andererseits sagt, es gebe sie gar nicht.“

Die Einsetzung von Kontaktbeamten wird inzwischen nicht nur von Schwulen gefordert. Dazu Dieter Schöneck, Geschäftsführer der Gewerkschaft der Polizei in Hamburg: „Man kann nicht so tun, als sei Homosexualität in unserer Gesellschaft schon die normalste Sache der Welt. Ein Kontaktbeamter für Homosexuelle wäre in der Hamburger Polizei dringend nötig und würde mit Sicherheit zur Entspannung auf beiden Seiten beitragen.“ Ähnlich äußert sich Manfred Mahr, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer PolizistInnen: „Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Situation in Hamburg anders ist als etwa in Frankfurt oder Berlin. Die Frage ist allerdings, wie sensibilisiert man für die Sache ist. Ein Kontaktbeamter würde auch unseren schwulen Kollegen guttun.“ Einige Hamburger Reviere haben bereits auf das Problem reagiert, das es nach Auskunft der Polizeispitze gar nicht gibt. In Hamburger Beratungsstellen haben sich aus zwei Polizeiwachen Beamte als inoffizielle Ansprechpartner für Homosexuelle vorgestellt.

Defizite gibt es aber nicht nur auf seiten der Polizei. Auch die

1Hamburger Schwulenbewegung trägt nicht viel zu einer Änderung der Situation bei. Eine spezielle Anlaufstelle für schwule Gewaltopfer gibt es nicht. Die einstmals aktive Gruppe „Gewalt gegen Schwule“ hat sich aufgelöst. Die vor einem halben Jahr neu geründete Gruppe „Anti-Gewalt gegen Schwule“ befindet sich noch im Aufbau und hat bisher nur ein mehrsprachiges Plakat entworfen und geklebt. So bleibt zu befürchten, daß der Hamburger Polizei weiterhin nichts Besseres einfällt als der Rat, „zur Nachtzeit Örtlichkeiten zu meiden, die unübersichtlich sind“ (Polizeipressesprecher Sonntag im August 1991). Hier wird ein Modell neu aufgetischt, meint Rolf Winiarski vom MHC: „Die Vorschläge erinnern an das, was den Frauen in den 60er Jahren geraten wurde.“ Werner Hinzpeter

*Namen der Opfer geändert

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