: Aids in Hamburg: Keine Entwarnung
■ Erkrankungen brechen jetzt vermehrt aus / Neuinfektionen konstant / Pflegesituation unzureichend / Obdachlosigkeit und Verelendung wächst
/ Neuinfektionen konstant
Pflegesituation unzureichend / Obdachlosigkeit und Verelendung wächst
Die Apokalypse blieb aus, doch die Probleme spitzen sich weiter zu. MitarbeiterInnen des Hamburger Vereins AIDS-Hilfe traten gestern mit einer besorgniserregenden Prognose an die Öffentlichkeit. Danach bleiben die Zuwachsraten bei den HIV-Neuinfektionen zwar seit einiger Zeit konstant, doch derzeit brechen Aids-Erkrankungen bei all denjenigen aus, die sich vor etwa zehn Jahren infiziert haben. Die gesundheitliche und soziale Situation dieser Menschen wird die Hamburger Betreuungs-Infrastruktur vor schwierige Aufgaben stellen.
Seit 1982 starben in Hamburg über 500 Menschen an der Immunschwäche, bei weiteren 380 ist die Krankheit bereits ausgebrochen. Darüber hinaus, so rechnet Matthias Schwark, Geschäftsführer der AIDS-Hilfe vor, gehe man von etwa 7500 HIV-Infizierten in der Hansestadt aus. Hauptsächlich betroffen sind junge Menschen zwischen 15 und 25 Jahren und — mit einer deutlichen Steigerungsrate — heterosexuelle Männer und Frauen.
„Die Lebenserwartung ist aufgrund der verbesserten medizinischen Versorgung gestiegen“, berichtet der Arzt Tilmann Hassenstein. Die Kehrseite dieser Entwicklung: längere Krankheit mit einer Vielzahl neurologischer Probleme, wie Hirn- und Rückenmarksleiden. Besonders bedrückend: „Bei vielen Patienten kommt es zu einem Abbau der Gehirnsubstanz und dadurch zu schweren Persönlichkeitsstörungen“, so Hassenstein. Dies habe einen erhöhten Betreuungs- und Pflegebedarf zur Folge, der durch ehrenamtliche Helfer (bei der AIDS-Hilfe engagieren sich etwa 60) nicht mehr zu gewährleisten sei. Und auf den die Hansestadt nach Ansicht der AIDS- Hilfe unzureichend eingerichtet ist.
Eine bedrohliche Entwicklung macht der Arzt in den USA aus: Dort taucht im Zusammenhang mit Aids vermehrt Tuberkulose auf, die gegen alle bekannten Medikamente resistent ist. In Europa seien bislang nur wenige dieser Fälle aufgetaucht, „es bleibt zu hoffen, daß diese schlimme Entwicklung hier nicht eintritt“, so Hassenstein.
Aber auch die soziale Verelendung der HIV-Infizierten und Aids- Kranken nimmt zu. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres zählte die AIDS-Hilfe in Hamburg 40 neue obdachlose Aids-Kranke. Die, so Matthias Schwark, nicht betreut werden können. Auch die Diskriminierung sei nicht geringer geworden — Bekannte brechen die Kontakte ab, Jobs werden gekündigt, Beziehungen gehen in die Brüche. Hinzu kommt, daß die Betroffenen seit einiger Zeit verstärkt Opfer rechtsradikaler Übergriffe und Pöbeleien werden. „Manche Klienten haben Angst, abends in unser Zentrum zu kommen“, so die Psychologin Birgit Bader.
Obwohl die finanziellen Mittel noch fehlen, will die AIDS-Hilfe einige neue Projekte in Angriff nehmen. Zum Beispiel „Betreutes Wohnen“: In angemieteten oder gekauften Wohnungen könnten die Kranken nicht nur untergebracht werden, sondern, wo nötig, auch betreut werden. Außerdem möchten die MitarbeiterInnen das Café-
1Angebot erweitern und einer Gruppe Erkrankter eine Urlaubsreise ermöglichen. Dringend benötigt werde auch eine Computeranlage, die die Öffentlichkeits- und
1Beratungsarbeit erleichtern würde. Für all diese Vorhaben sucht die AIDS-Hilfe (Tel: 319 69 81) noch Spender und Sponsoren. Sannah Koch
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