Noch ein Abschied von den Achtzigern

■ Kenneth Branaghs neuer Film „Peter's Friends“

Selten hat der Kinobesucher einen so profunden Liedtext gehört. „Kensington and Baker Street and Charing Cross and Notting Hill Gate“. Alle Londoner U-Bahnstationen rauf und runter; dazu im Takt des Cancan die bestrapsten Beine gestreckt und die Röcke hochgewirbelt. So geht der Song „The Underground“. Die Schauspieler zappeln. Das Publikum läßt sie zappeln. Das monokelbehängte Auge des mondänen Gastes im Parkett blickt auch auf dicht behaarte Männerbeine, aber so etwas dürfte 1982 selbst bei gesetzteren Damen und Herren kaum noch Heiterkeit ausgelöst haben. Das weiß auch das quirlige Sextett und nimmt nach einem Erinnerungsfoto Abschied von der Bühne – Kleinkunst adieu. Mit den Gags sind auch die Beziehungen fade geworden. Sechs Freunde gehen ihre eigenen Wege.

Wenn man nicht wüßte, daß „Peter's Friends“ von Kenneth Branagh wäre, könnte man ihn für den netten kleinen Film eines britischen Autorenfilmers, vielleicht schon von einem Enkel von Stephen Frears halten. So ist es ein netter kleiner Film von Kenneth Branagh. Nachdem er mit der Shakespeare-Verfilmung „Henry V.“ den Pflichtstoff für die Hochkultur absolviert hat, ist er jetzt bei den kleinen Auftritten angelangt. „Peter's Friends“ wirkt so richtig sophisticated, ein visuelles Poesiealbum über die achtziger Jahre, Blick zurück mit feinem britischen Humor, unterlegt mit den Songs der Dekade. Aber vom „Everybody Wants To Rule The World“ der Tears For Fears oder Queens Glaubensbekenntnis „You're My Best Friend“ ist ein gewisser Katzenjammer zurückgeblieben.

Zehn Jahre später: Peter lädt zum Revival vergangener Brettlkunst auf den vom Vater geerbten Landsitz. Die sechs Freunde sind alle das geworden, was sie voneinander erwartet haben, nur noch etwas tragikomischer zugespitzt. Sarah muß über sich sagen lassen, daß sogar der Erzbischof von Canterbury mit ihr geschlafen haben könnte. Roger und Mary dagegen benutzen ihr Ehebett nur noch für die immer häufiger werdenden Zankereien. Seine Schriftstellerei hat Andrew (Kenneth Branagh) einen Ruf nach Hollywood und eine Frau eingebracht, die Joan Collins zum Verwechseln ähnlich sieht und die ihren Tag mühelos vor dem Schminkspiegel zubringt, wenn sie nicht gerade unsichtbare Speckröllchen mit Hanteln wegtrainiert. Maggie hingegen, eine Spur zu übertrieben dargestellt von Emma Thompson, hat so weite Pullover an, daß sie immer genügend Putzfläche für ihre Tränen hat, die immer dann hervorschießen, wenn sich jemand nicht über ihre sorgfältig ausgesuchten Buchgeschenke freut oder sie über ihr unerfülltes Sexualleben spricht. Denn eigentlich ist sie immer noch auf den noblen Gastgeber Peter scharf, der aber von sich behauptet, seit geraumer Zeit nicht mehr in der „Vagina-Abteilung“ zu arbeiten. Mit Bedacht hat Kenneth Branagh die Darsteller des schrulligen Freundeskreises in der britischen Schauspiel- und Comedy- Szene gesucht: Kollegen, die sich schon lange untereinander kennen – manchmal vielleicht viel zu gut. So verstärkt sich noch der Eindruck, wirklich alte Bekannte vor sich zu haben. Die Erwartungen, die Verletzungen, die Erinnerungen, dazu die zurückhaltende Art von Branaghs Inszenierungsstil – es entsteht wirklich jene ganz eigene Atmosphäre um die Zeit der Jahreswende, zu der die Geschichte spielt. Ein Film der guten Vorsätze. Heraufbeschwören des Alten und Annäherung an das Neue. Ein bißchen Liebe. Ein bißchen Krach. Und etwas Tragik, denn Peter hat ein trauriges Geheimnis, welches er seinen Freunden in dieser Silvesternacht offenbart. Manchmal wirkt Branaghs Bemühen, die persönlichen Verstrickungen der Freundschaften liebevoll auszuleuchten, etwas zu klischeehaft; ab und zu liegen die Kalauer dann doch näher bei Monty Python, als es vom sublimen, britischen Understatement zu erwarten wäre. Doch der dritte Film von Kenneth Branagh ist viel zu leicht, um ihm übel zu wollen – eine filmische Fußnote zu Freundschaften in den achtziger Jahren. „Don't Get Me Wrong“, scheint er mit Chrissie Hynde von den Pretenders zu sagen. Es war schön, aber ich muß jetzt weiter. Seine nächste Skakespeare-Adaption: „Much Ado About Nothing“ soll noch dieses Jahr in die Kinos kommen. Christof Boy

Kenneth Branagh: „Peter's Friends“. Kamera: Roger Lanser; mit Kenneth Branagh, Alphonsia Emmanuel, Stephen Fry, Emma Thompson u.a.; GB/USA 1992