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Welt ohne Heimlichkeit

■ „Kassandra-Maschine“ der Gruppe Lubricat im Brauhauskeller

Der dunkle, gewölbte Keller wird von einer durchbrochenen Wand in zwei Teile geteilt. Ein sehr weißhäutiger, nackter Mann hängt mit erhobenen Armen an einem Ring, der an der Decke befestigt ist. Seine Füße berühren gerade das Podest, sein Rücken ist durchgebogen, sein Geschlecht gutachtenden Blicken preisgegeben. Wie aufgezogen rezitiert er Sätze aus vernehmlich schwulen hard-core- Pornos. Ein Erniedrigter und Vergewaltigter, wäre er ein Mensch. Er (Armin Dallapiccola) ist aber nur Bestandteil der „Kassandra-Maschine“, die Regisseur Dirk Cioslak mit seiner „Gruppe Lubricat“ im Brauhauskeller des Goethetheaters inszeniert hat.

Kassandra (Elettra de Salvo), die griechische Unglücksprophetin, auf die niemand hört, erscheint in dieser audio-visuellen Rauminstallation als strenge Stewardess-Puppe, die auf eigenem Podest stereotype Bewegungen macht. Mal ruhig, mal schrill sagt sie unbestimmte Katastrophen vorher.

Ein androgyner Sänger (Jochen Sievers) singt ab und zu strenge schöne Gesänge, die halb im Maschinenlärm untergehen. Ein gedrungener Tänzer tanzt unermüdlich techno-ähnliche Tänze in einer Ecke. Und ganz vorne, gegenüber dem Eingang, durch den die ZuschauerInnen zögernd eingetreten waren, sitzt ganz still und stumm ein trübsinniger Flüchtling (Dimitri Bormatenkov) auf seinem Koffer. Zweimal steht er auf, murmelt etwas in einer fremden Sprache, singt ein heimatloses Lied.

Mag nun dieses Superzeichen einer diffus bedrohlichen Welt, in der Sex Gewalt ist, in der man sich nicht niederlassen kann, obwohl man Lieder singt, in der es keine Heimlichkeiten gibt, mag das interpretieren, wer will. Eine Dreiviertelstunde läuft die Kassandra-Maschine unter dem Dröhnen der Toncollage von Dieter Fenchel. Stur, nur beiläufig das Sex- und Katastrophen-Textbuch variierend, ohne Entwicklung.

Ihre eigentliche Aufgabe haben die ZuschauerInnen schon erfüllt, wenn sie in den Brauhauskeller hinabsteigen. Sie bringen die Maschine zum Laufen, sie werden Teil von ihr, sie sind kein Sand im Getriebe. Sie erlösen niemanden. CoK

Noch Freitag und Samstag, je zwei Vorstellungen um 20.30 und 22.30 Uhr im Brauhauskeller, Goethetheater.

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