6.500 Tonnen Zahlensalat

■ Post gibt 1,3 Kilogramm schwere Verzeichnisse mit neuen Postleitzahlen aus / In Berlin 1,9 Millionen Haushalte zu versorgen / Oft wird das Buch vor die Tür gelegt

Berlin. Wer demnächst der taz einen wütenden oder vielleicht auch netten Leserbrief in die Kochstraße schicken will, muß aufpassen, wie sie – oder er – den Umschlag adressiert. Von Juli an gilt nämlich nicht mehr W-1000 Berlin 61, sondern die neue Postleitzahl 10969 Berlin, ohne Bezirksangabe. Allein Berlin wird 191 Zahlen haben, längere Straßen bekommen zum Teil mehrere Nummern. Damit keine Panik entsteht und die Post nicht im totalen Chaos versinkt, begann jüngst die Auslieferung der neuen Postleitzahlenbücher an alle Haushalte. Immerhin 1,9 Millionen Exemplare des 995-Seiten-Werks sollen bis Ende Mai an die Berliner verteilt sein. Dann bleibt noch ein Monat, um sich die neuen Adressen von Freunden, Verwandten, Behörden und anderen Briefpartnern herauszuschreiben und einzuprägen.

Bis zum 1. Juli gelten noch die alten Postleitzahlen. Wer trotzdem schon die neuen benutzt, muß damit rechnen, daß sein Brief noch länger als normal braucht. Die Pressesprecherin der Oberpostdirektion Berlin, Claudia Haß, hofft, daß es keine allzu großen Umstellungsschwierigkeiten geben wird, und appelliert an die Postkunden, sich nach den Fristen zu richten.

Um zu verhindern, daß die regulären Postboten unter der zusätzlichen Last zusammenbrechen, helfen Freiwillige aus der Verwaltung und anderen Postbereichen, die genau 1.349 Gramm schweren Verzeichnisse zu verteilen. Bücher im Gewicht von rund 6.500 Tonnen müssen die Verteiler in Berlin über Treppen und Flure schleppen. Im Briefkasten landen die Bücher allerdings nur, wenn der Kasten die Normgröße hat. Läßt sich ein Buch dennoch nicht in den Schlitz quetschen, klingelt der Zusteller an der Wohnungstür. Der Empfänger ist nicht zu Hause? Dann wird das Buch vor die Tür gelegt und ist hoffnungslos Langfingern, die vielleicht mit nur einem Buch nichts auskommen, preisgegeben. Aber auch das soll kein Problem sein. Auf dem nächsten Postamt können die um ihr persönliches Exemplar gebrachten Haushaltsvorstände Ersatz anfordern.

„Neue Zahlen braucht das Land.“ So jedenfalls sieht es der Direktor der Unternehmenskommunikation Postdienst, Gert Schkies. Die alten Leitzahlen hätten in der Vergangenheit zu einer Identifikation der Bürger mit dem Wohnort geführt, deswegen sei es verständlich, daß es viele Proteste gegen die neuen fünfstelligen Zahlen gebe. Um das neue System den Bürgern schmackhaft zu machen startete die Post eine dreiteilige Kampagne.

Schneller soll die Zustellung durch die neuen Zahlen werden, weil bei den Postämtern ein Arbeitsgang eingespart wird. Wie das funktionieren wird, muß ganz der inneren Postlogik überlassen werden. Daß die ersten beiden Ziffern nach regionalen Bereichen gegliedert sind, ist auch noch für den Laien erkennbar. Die letzten drei sind für diesen allerdings vollends undechiffrierbar. Wieviel die Umstellung letzten Endes kosten wird, kann bislang niemand sagen. Aber dafür habe das System noch Reserven für neue Zahlen bis ans Ende des nächsten Jahrhunderts, sagt Claudia Haß.

Für den privaten Briefeschreiber, der nach Berechnungen interner Posttüftler im Schnitt nur zehn bis 15 Adressen zu verwalten hat, lassen sich die Umstellungsprobleme vielleicht noch bewältigen. Für den Fall, daß es jemand trotz des neuen Buches nicht schafft, die Übersicht zu behalten, bietet die Post an, persönliche Notizbücher mit den neuen Adressen zu erstellen. Komplizierter wird es da schon, wenn über 40 Millionen Adressen umgestellt werden müssen, wie bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die eine der größten Behörden der Republik ist. Hier verläßt man sich ganz auf die Computer-Software und einen eigens für die Umstellung eingerichteten Arbeitskreis. Ob es schließlich größere Probleme geben wird, kann Pressesprecher Winfried Harms erst Ende des Jahres sagen, wenn die große Katastrophe vielleicht schon ausgestanden ist. Jörg Welke