In Ermangelung eines Vokabulars

„Drucksache – Prints & Issues“ und „trap“: Zwei Ausstellungen in den Kunst-Werken/Berlin  ■ Von Harald Fricke

Über Nacht schien der dynamische Kunstverein an der Auguststraße um ein ganzes Jahrzehnt gealtert, und mit ihm das Publikum. Hatten am Eröffnungsabend zur Doppelausstellung über politische Kunst in den neunziger Jahren noch szeneungeübte Dropouts versucht, sich die imaginären Hörner im Streit mit den Kulturschaffenden abzustoßen, so findet an diesem Sonntag nachmittag niemand mehr nur zufällig vom Lärm der Tanzmusik angelockt den Weg durch den Innenhof in die Galerieräume der ehemaligen Margarinefabrik. Die Diskussion zur Aufgabe der Kunst in Zeiten zunehmender Rechts-Ästhetisierung lockt in erster Linie müde Betriebsprofis: Ein Schriftsteller beharrt auf seiner Radikalität hier und jetzt gegenüber allem und jedem für eine bessere Zukunft, ein Künstler macht Werbung für seine Galeristen, und der akademisch geschulte Rest weicht vom anerzogenen Pluralismus der achtziger Jahre verunsichert vor den Problemen kultureller Basisarbeit auf formale Debatten aus. Politik macht man nicht mit dem Pinsel.

Dabei ist eigentlich allen Beteiligten klar, wie wenig ein liberal- ausgewogener Kunstbegriff gegen die Probleme der Gegenwart auszurichten vermag. Bedarf Rostock eines multikulturellen Sozial-Happenings oder antifaschistischer Gegenwehr? Doch auch in diesem Punkt sind sich die linken KulturstrategInnen nicht mehr einig. Denn auf die im Kern geforderte Handlungsnotwendigkeit der von Stefan Geene vorgestellten „trap“- Dokumentation reagiert die Versammlung fast einstimmig mit Ablehnung. In Ermangelung eines geschichtsbewußten Vokabulars macht sehr übereilt und hysterisch der Vorwurf des Links-Faschismus die Runde. Ein Boykott rechter Zeichen und Umgangsformen gilt als stalinistisch und sei insofern gefährlicher als deren Erduldung. Darüber hatten sich schon Jürgen Habermas und Oskar Negt zu Zeiten der Studentenrevolte streithaft durch das Feuilleton geschlagen. Heute wirkt das Resümee angestaubt: lieber authentisch als integer, besser Zyniker als Zensor, so lautet zumindest das überwiegende Urteil im Namen der Kunst. Mit diesem Credo wird allerdings die politische Erfahrung durch das ästhetische Feingefühl abgeglichen, eine fragwürdige Praxis angesichts der Entwicklung in den letzten drei Jahren nach der Vereinigung. Geene und das an der Organisation beteiligte Düsseldorfer büroBert wollen diese Apathie jedoch nicht länger hinnehmen. Zur Ausstellung präsentieren sie neben einer Vielzahl von Textreadern über rechte Tendenzen im Kunstbetrieb auch ein Video ihres Blockadeversuchs beim Symposium über deutsche Identität, zu dem unter anderem auch Hans- Jürgen Syberberg und weitere altliberal und Neo-Rechte geladen waren. Doch die Auseinandersetzung mit den potentiellen Kunst- und Kulturpreisgreisen der Abschlußklasse von 68 berührt die eigenen Lebensbedingungen nur am Rande, so wie sich die Spur der Rechten nicht in den Mythen von Blut und Boden, sondern an den mit Staatsgeldern finanzierten Vernissagen-Büfetts verliert. Die Politik bezahlt den Grabenkampf auf beiden Seiten. Ein bißchen Senatsförderung wird auch in die „trap“-Ausstellung eingegangen sein. Zumindest fühlt sich Klaus Biesenbach, Vorstandsmitglied der Kunst-Werke e.V., von deren „inzestuöser“ Anbindung irritiert.

Auch hier finden die Einwürfe auf dem Boden der formalästhetischen Tatsachen statt: Das Video wäre doch schließlich „geil“ gemacht, die Musik-Rhetorik von Ton Steine Scherben eine nette Erinnerungsmelodie; das revolutionierende Grüppchen trage bei alledem schöne Kleider — Bürgerkinder in der Sportswear der Streetculture. Selbst die Signatur eines Autors existiert: Das ist Kunst, genauso wie ein Bild an der Wand, auf einen ebenso verengten sozialen Raum bezogen. So was ist Anschauungsmaterial, aber kein politischer Gegenstand. Eine Unterscheidung zwischen Kommunikations- und Identitätsmodell wird bei aller Kritik leider außer acht gelassen. Mit der Zeit geht jede Distanz zwischen linken und rechten Feindbildern in der Diskussion verloren, so daß in der finalen Begriffsverwirrung die Unfähigkeit zu handeln kleinbürgerlich und brav mit dem Recht auf Selbstbezüglichkeit wegentschuldigt wird: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen. Am Ende ist die Kunst mit ihrem Latein weiterhin allein.

Im dritten Stock des Hauses finden ähnliche Auseinandersetzungen statt, wenn auch stumm. Die Arbeiten von 18 amerikanischen KünstlerInnen beschäftigen sich genau mit jenem Problem der Kluft zwischen Autonomie und Anschlußfähigkeit von Kunst und Politik. Die Plakate mit dem Aids- Logo von General Idea verstellen den Eingang und stauen die Besucherinnen und Besucher zudem im Zusammenspiel mit den ikonenhaften Biographiemustern von David Wojnarowicz an der anderen Wand. Abstrakte Form und eindringliches Bekenntnis stehen einander nicht unversöhnlich, aber eben doch gegenüber. Während bei General Idea die Graphik dominiert, rücken die textuellen Beispiele des selbst an Aids verstorbenen Künstlers den sozialen Kontext des Andersseins in den Mittelpunkt der Erfahrung.

Ähnlich funktioniert das Zusammenspiel von Hervorhebung und Einbettung auch bei Nancy Spero. Zur Bebilderung des Brecht-Gedichts „Ballade von der Judenhure Marie Sanders“ hat sie ein aus Gestapo-Archiven entliehenes Dokumentarfoto einer gefolterten, nackten Frau im Mehrfachdruck verfremdet. Das vielschichtige Farbnetz vermittelt das unspezifische Bild vom Opfer parallel zum Refrain des Brecht-Gedichts in der Wiederholung: „das fleisch schlägt auf in den vorstädten, die trommeln schlagen mit macht, gott im himmel, wenn sie etwas vorhätten, wäre es heute nacht“ — so die Ängste der Hure bei Brecht. Eine weitere Reihe von Drucken arbeitet mit der Darstellung sich überlagernder Frauenakte, die ob der verschiedenen und ineinander übergehenden Farbschichtungen die Form sich vermischender Identitäten, Völker und Hautfarben annehmen — bunt und weniger entrückt als in den werbekonzeptuellen Tafelbildern von Benetton.

Sonst bleibt Textarbeit dürftig: „I feel most colored when I am thrown against a sharp white background“ lockt liebevoll ein Text über die symbolische Wirkungskraft von schwarzer Farbe, aber genaugenommen zielt die Aussage auch nur auf eine Trivialität in der Produktion, die dem Künstler oder der Künstlerin fließende Übergänge von schwarz, weiß, grau und unsichtbar erlaubt. Mit der Signatur verhält es sich nicht anders. Obwohl im Verzicht auf die kleinen Namens- und Informationsschildchen vom sonst üblichen Personenkult abgesehen wurde, spielt gerade die fehlende AutorInnenschaft mit dem wissenden Kennerblick. Die mit harter Feder schroff hingezeichneten Urlaubseindrücke von Raymond Pettibon entziffert das Auge sehr schnell an ihrem lakonischen Realismus von der Straße: ein Fuß, der zutritt; ein blutiges Auge; dazu der Text „At last I got to see Vegas“.

Die Schau bietet eher Möglichkeiten zur Wahrnehmung von Identitäten an, als daß sie einen generellen politischen Tenor vertritt. Das meiste ist vom individuellen Stand der Technik abhängig. Darin unterscheiden sich dann die dezent männerphantasierenden erotischen Radierungen Robert Gobers von der auf Rockerfahnen gedruckten Rebellenpose, die Mike Kelly einnimmt. Seine Totenschädel-Bandanas sind sowohl Fetisch als auch unmelancholische Jugendmemorabilia oder esoterischer Tarotkult, der von Kleeblättern umkränzt in die Zukunft weist. In jedem Fall ist beiden der kunstgemäß verschleierte Umgang mit Zeichen eingeschrieben.

Auch die Guerilla-Girls nehmen eher betriebsorientiert zu diversen Themen Stellung. Doch das nominelle Aufzeichnen von Rassismus und mangelndem Frauenbewußtsein in der Gesellschaft wird zum Slogan verkürzt nicht unbedingt zur Triebfeder der Revolution. Schließlich sind es die dem Informationskult von CNN entlehnten Beschreibungsmodelle, mit denen die Riots von L.A. in positivistische Zeiteinheiten eingeteilt werden: 81 Sekunden Schläge auf Rodney King, 72 Stunden Revolte in Los Angeles und 12 Jahre Reagan-Bush-Diktatur, so leicht lassen sich Erklärungsversuche für soziale Situationen nur selten an Zahlen festmachen. Andererseits hebt ein ähnliches Plakat gerade in der Geschwindigkeit der Wahrnehmung den entscheidenden Zugang zur Kunst hervor: „You're seeing less than half the picture without the vision of woman artists and artists of color.“ Für die Diskussion blieb dieses Drängen auf Zusammenhänge jedoch ohne Belang. Kim Levin, New Yorker Kunstkritikerin und Kuratorin der mehr oder minder feinen Drucke, sprach zwar von dem unmittelbaren internationalen Kontext aller weltpolitischen Ereignisse, der allein schon aufgrund der heutigen Medienpräsenz entstehe. Zwischen den Angriffen in Rostock und Mölln war ihr jedoch kein Unterschied aufgefallen.

Beide Ausstellungen noch bis zum 27.6.; Di.–So. 15–18 Uhr.