■ Spannungsfeld Säuglinge und Lichtspielhäuser: Richard Gere babygefährdend!
Aachen (taz) – Maren, 10 Wochen alt, schlief an diesem Nachmittag tief und fest im Tragegurt. Da kamen Martina und Detlef, die Eltern, spontan auf die Idee, ins Kino zu gehen: „Summersby“ mit Richard Gere im Aachener Capitol. Die Kassendame indes, sie verweigerte die Tickets: „Das geht nicht!“ „Warum?“ „Ja, äähm, wegen der Kontrolle...“ „Meinen Sie, wenn das Kind schreit? Dann geht natürlich gleich einer sofort mit ihr raus.“ „Nein, es ist wegen, also, Sie werden das sicher albern finden, aber... Der Film ist erst ab 12!“
Sind Kinos generell babygefährdend? Und wie hält es die Kinokonkurrenz? Nachfragen: Dem Szenekino Movie ist die Altersbeschränkung zweitrangig. Dennoch lasse man Babys nicht in den Saal, wegen des möglichen Geschreis, das, so ein Sprecher, „das Filmerlebnis der anderen stören könnte“. Dazu gibt sich der Movie-Mann als Hobby- Psychologe: „Kinder bekommen durchaus was mit, und das könnte sie irritieren.“ Auf den Vorwand, ob eine für eine Zehntelsekunde entblößte weibliche Leinwandbrust womöglich das künftige Saugverhalten bei der Mutter hemme, sagt er biologisch versiert: „Auch kleine Kinder haben Augen und Ohren.“
Nun ist es in der Tat so, daß es von Staats wegen eine Altersbeschränkung gibt: Filme sind ab 6, 12, 16 oder 18 Jahren freigegeben. Die Einteilung regeln die Filmvorprüfer der FSK in Wiesbaden – der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft.
Dort meint Filmwart Herr Hönge, das Verhalten der Kinobesitzer sei „juristisch durchaus in Ordnung“, theoretisch würden die Filmvorführer sonst gegen das Jugendschutzgesetz verstoßen. Er könne aber Eltern durchaus verstehen, „die das alles für albern und spitzfindig halten“, und es gebe viele Kinos heutzutage, die bei Babys ein Auge zudrückten.
Doch Gesetz bleibt Gesetz! Sagt auch der Sprecher des Aachener Eden-Kinos – „sonst hätte doch die ganze Zensur keinen Sinn“. Auch bei ihm gelte: Babys raus. Ansonsten ist er eine Art Pflege-Übervater: „Eine Zumutung“ sei doch ein Kinobesuch von Babys, sagt er hörbar empört. „Kinder, auch in dem Alter, sind doch äußerst sensibel. Wer wollte sagen, ob allein die Musik für ihre Seele und ihr körperliches Wohlbefinden gut ist.“ Aber, er kenne seine Kunden: Neulich noch haben Eltern mit Baby auf dem Arm „Dracula“ sehen wollen. Säuglinge im Blutsaugerepos! Ungeheuerlich: „Und dann wollten sich die Leute auch noch beschweren.“ Wenn es indes ums Geldverdienen durch Werbung geht, sind die Kinos Eden oder Capitol, die zum Betreibergiganten ufa gehören, weniger paragraphenfixiert. Derzeit ist bei der Staatsanwaltschaft Aachen eine Klage der „Elterninitiative Kinderfreundliches Kino“ anhängig, die der ufa vorwirft, Tabak- und Alkoholspots auch vor 18 Uhr flimmern zu lassen. Und das, so die Initiative, sei gesetzwidrige und jugendgefährdende Suchtmittelwerbung.
Für Baby-Cineasten empfiehlt das Eden-Kino übrigens paradiesischere Kost: Das Dschungelbuch, der Hit dieser Monate, sei „ab 0 Jahren freigegeben und somit kein Problem“.
Doch Fragen bleiben: Wird nicht gerade im Dschungelbuch jenes Urgefühl des Vertrauens der Kleinsten mißbraucht und womöglich irreparabler Schaden an den sensiblen Seelchen angerichtet – von dieser gemeinen, angsteinflößenden Schlange K mit ihrem hintertriebenen „Väähäärr-traue-miir“? Und: Muß der Kinobesuch von Schwangeren (besonders schutzwürdiges Leben unter Null im Bauch) nicht generell unterbunden werden?
Gesetzgeber und FSK vor! In Aachen würden sie an den Kinokassen alsbald Schwangerschaftstests verlangen. Bernd Müllender
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