: Knuff, puff, peng
Weil der Jungstar Eric Lindros nun schon mal hier ist, kann er auch gleich die Kanadier zum ersten WM-Titel seit 32 Jahren führen ■ Aus München Peter Unfried
Eric Lindros ist ein zurückhaltender, aber freundlicher Mensch mit guten Manieren und einem einnehmenden Wesen. Seine Augen mögen dem einen oder anderen etwas wässrig erscheinen, jedenfalls schauen sie eher vorsichtig als herausfordernd in die Welt. Seine Stimme bewegt sich stets in moderaten Bereichen. Die Konturen seines Gesichtes sind noch ganz weich. Und eine ganze Menge roter Punkte künden darin vom noch nicht abgeschlossenen Prozeß des Erwachsenwerdens. Kurz gesagt: Eric ist das, was man einen richtig netten Jungen nennt.
Allerdings, diese Einschränkung muß gemacht werden: Das gilt nur, solange er nicht auf dem Eis steht. Dort nämlich vollzieht sich eine bemerkenswerte Metamorphose: Im Trikot mit der Nummer 88 scheint ein ganz anderer zu stecken, einer der – vollkommen von seiner Physis dominiert – die Eisfläche beherrscht. Wir sehen: Knuff, puff, peng, der Mann ist ja wirklich 1,92 Meter groß. Wir notieren: Knuff, puff, peng, tatsächlich wiegt er auch einiges mehr als 100 Kilo, oder wie könnte es sonst sein, daß kaum einer ihm zu nahe kommen kann, geschweige denn, ihn von den Füßen holen? Wir staunen: Knuff, puff, peng, das ist ja eine lebende Check-Maschine, die zwar bisweilen recht gemütlich über's Eis zu gleiten scheint, doch das täuscht. Wo Eric Lindros einen Gegenspieler auftut, drückt er den gegen die Bande. Vorne wie hinten, links wie rechts. Keiner kommt ihm stehend aus.
„Er hat die Größe“, analysiert Kanadas Co-Trainer Roger Neilson, ein Petrocelli-Typ mit buschigen Augenbrauen, wenn man ihn nach Erics Stärken fragt, und gibt damit die Richtung vor, in der sich die nordamerikanische Profiliga NHL in den kommenden Jahren weiterbewegen will. Riesen will man haben, die die Banden der riesigen Hallen krachen lassen, so daß man es bis rauf zum obersten Sitzplatz hören kann. Und Eric Lindros, gerade 20 geworden, ist der Prototyp. „Er ist“, sagt Neilson, „noch ein junger Spieler, aber die Leute erwarten, daß er in jedem Spiel der Superstar ist. Und oft ist er das auch.“
In seiner ersten Profisaison hat er bei den Philadelphia Flyers die Erwartungen zwar noch nicht erfüllt, aber die sind eben auch immens hoch. Immerhin gelangen ihm 41 Treffer, obwohl er verletzt 23 Spiele zugucken mußte. Erst kurz vor Ende der „regular season“ kam er zurück ins Team, das auch mit ihm keine Chance hatte, die Play-Offs zu erreichen.
Bei der WM in München kam jedenfalls keiner gegen ihn an. Auch wenn er am Mittwoch im Viertelfinale gegen die Finnen (5:1) erstmals den Kollegen Recchi und Manson (je zwei Tore) das Treffen und Assistieren überlassen mußte, mit zehn Toren bzw. 16 Punkten wird ihm weder der Titel des besten Torschützen noch der des besten Scorers zu nehmen sein.
Daß das Team Kanada bisher die mit Abstand beste Manschaft des Turniers stellt, liegt aber, das muß man ehrlicherweise zugeben, nicht allein an der Nummer 88. Neben ihm sind 17 weitere NHL-Profis im Einsatz, sechs wie Lindros aus Philadelphia, sieben aus Edmonton, darauf kann man aufbauen. Trainer Mike Keenan, den man in der Branche einen „whipcracker“, einen harten Hund nennt, hat – da gerade in Chicago entlassen – anders als andere in den Jahren zuvor mit Mühe Spieler zusammengeholt, die ihm brauchbar erschienen, um nach 32 Jahren dem neunzehnten WM-Erfolg einen zwanzigsten hinzuzufügen. Und das zahlt sich aus.
Daß auch Lindros mitmacht, ist kein Zufall: Der Junge will soviel spielen, Erfahrung sammeln, lernen wie möglich. Denn, sagt Roger Neilson, der übrigens selbst auch gerade ohne NHL-Club ist, da er bei den New York Rangers gehen mußte, wo ihn Keenan ablöst: „Je mehr Erfahrung er sammelt, desto besser wird er.“ Vor allem vor dem gegnerischen Tor: „Wenn man ihm die Chance zum Torschuß gibt, dann ist der Puck praktisch schon im Netz.“ Was schmerzlich und fünfmal in der Vorrunde die Italiener erfahren mußten. Während nach und zwischen den Spielen die Gartners, Mansons und Ranfords das große Wort führen, ist der 20jährige die „Führungsperson auf dem Eis“ (Neilson). Checkt er also Kanada zum Titel?
„Wir betrachten das“, sagt Eric Lindros, „im selben Licht wie die Stanley-Cup-Finals. Das ist der Grund, weshalb wir hier sind.“ Für die plant man, und wenn man sie nicht erreicht, braucht man Ersatz. Und die Weltmeisterschaft, für andere ein heiliger Gral? „Da wir nun schon mal hier sind“, findet Lindros, „können wir auch gleich gewinnen.“ Ansonsten: „Machen wir unsere Arbeit.“ Knuff, puff, peng also. Heute im Halbfinale werden die Russen erfahren müssen, was es heißt, von Eric Lindros gegen die Bande gedrückt zu werden. Eine Frage in diesem Zusammenhang noch an Mister Neilson: Was unterscheidet eigentlich den Lindros, den man bei dieser WM sieht, von dem der NHL? Nun, sagt der smarte Trainer: „Man muß sich hier natürlich etwas anpassen.“ Was er genau meint? „Nun, zuhause macht Eric natürlich erheblich mehr Bodychecks.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen