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Was steckt in einem Skinhead?

Ein unprätentiöses Taschenbuch, das sich in die Niederungen der Anschauung begibt, stockt die dürftige Literatur über jene fremde Jugendsubkultur auf, über die so gerne geurteilt wird  ■ Von Bodo Morshäuser

Neulich in Bremen bei einer Juso-Veranstaltung über Rechtsextremismus, in einer Runde von fünfzehn Jusos, wo jeder jeden kannte, aber niemand mich, kam die unweigerliche Frage, wer ich sei. Ich sagte, ich käme aus Berlin-Lichtenberg und wollte hören, was die Bremer über Rechte sagten. Nein, das wünschte ich hinterher. Ich nannte meinen Namen, manche kannten ihn, und die Angst, ein Rechter befinde sich dort, wo man über Rechte sprach, war verflogen.

Längst vor aller Information kommt ein kultureller Bruch zum Tragen: Offenbar sind die Welten einer Jugend der Körperlichkeit und Älterer, die Bleistifte und Reden halten, unvereinbar. Die Intelligenz traut sich nicht mehr zur protestierenden Jugend hin und redet nicht mit ihr. Folge: Wissenschaftler, die dafür bezahlt werden, Subkulturen zu erforschen, haben so gut wie keine Ahnung von Skinheads. Die Bundesprüfstelle für „jugendgefährdende“ Konsumartikel weiß nicht, worüber sie urteilt, wenn sie sich zu einer Platte der Böhsen Onkelz äußert. Sie haben die Hosen voll, daß die Menschen, über die sie richten, ihnen einmal leibhaftig begegnen könnten. Folge: Es gibt so gut wie keine Literatur über Skinheads, die die Mindestleistung zustande bringt, vor dem Urteilen hinzuschauen.

Also müssen andere diese Arbeit tun. Autoren, die sich mit Skinheads beschäftigt haben, ohne sie denunzieren zu wollen, haben nicht die Adresse einer Universität Soundso. Klaus Farin und Eberhard Seidel-Pielen haben das Buch „Skinheads“ verfaßt. Bei der feige dünnen Bibliothek über Skinheads genügten das schlichte Nacherzählen der englischen und deutschen Geschichte dieser Jugendsubkultur sowie Interviews mit heutigen Jungs und Mädels aus der Szene, um mit den Falschinformationen aufzuräumen, die das Gerede über Skins prägen. Aufgeräumt wird mit den Vorurteilen, Skinheads seien Rechte oder Neonazis; die Böhsen Onkelz seien eine rechtsextreme Band; rechte Skins ließen sich rechten Parteien unterordnen. Alles Vereinfachungen, Verfälschungen oder böhse Absichten.

Die Feigheit der zuständigen Sozialwissenschaft und die Geilheit der Popularmedien haben ein Bild von Skinheads entstehen lassen, das mit allen Phantasien des Bösen gefüllt werden kann und wird. Sie sind zu unbekannten Wesen geworden, die nie etwas sagen und auf die jene mit dem gesunden Menschenverstand Beseelten ihre Projektion werfen dürfen.

Farin und Seidel-Pielen machen das unbekannte Wesen erkennbar: als Jugendmusik- und -moderichtung, die seit den Sechzigern mehrere Hochs und Tiefs erlebte, die es in den Siebzigern kaum mehr zu geben schien, die durch Punk neue Impulse bekam, von Rechten nicht besonders erfolgreich umworben wurde und von der aufgeklärten Gesellschaft zum schlechthin Bösen hindefiniert wurde. Diesen Jugendlichen gebühren Angst und Respekt der Körperlosen. Eine wunderbare Oppositionshaltung, frei Haus geliefert, von sprachlosen, sich schämenden Aufgeklärten. Klar gemacht wird hier auch, daß Skins sich viel weniger selbst definiert haben, als daß sie von außen etikettiert worden sind.

In einem Gespräch mit Skin Hacki wird am Einzelfall offenbar, daß ein vorpolitischer Protest, also das Normalste, was einem jungen Menschen passieren sollte, durch dumme Denunziationen („Nazi!“) erst zu dem wurde, was verhindert werden sollte: Der Junge nahm die NS-Zeichen nun als NS-Symbole an. „Mal sehen, wer lauter schreit von beiden, die Lehrerin oder Hitler“, sagt er, als er einen Kassettenrekorder mit Hitlerreden in den Unterricht trägt. Kein Wunder, daß auf den Skins vorgelegten Satzanfang „Skinhead sein bedeutet für mich...“ Fortsetzungen folgen wie: „Auf Vorurteile zu stoßen“; „Das Gefühl genießen, gehaßt zu werden“; oder, so die Autoren: „Als Skinhead bist du nie wieder Müller 5 aus der 8 b“.

Die wichtigsten Bücher zum Thema rechte Subkulturen sind jene, in denen die Autoren offenlegen, „wer spricht“. Selbstentlastung und Schuldverlagerung sind die wunderbaren Effekte, wenn man nicht bei sich selber nachschaut, ob man mit dem Problem, über das man schreibt, etwas zu tun hat. Farin/Seidel-Pielen machen ihre eigene Rolle erkennbar: Zwei Journalisten, die Subkulturen erforschen, die sich in der Szene umschauen, Gespräche anbieten, aber nicht darauf drängen. Keine Schleimer, denen plötzlich Rassismen rausrutschen, sondern Leute, die sagen: „Wir sind links, ihr seid rechts, was ist los?“ Aus vielen Formulierungen spricht eine Liebe zum Thema, gewiß eine Liebe zur Musik der Skins, zum Beispiel Ska. Wer mochte das 1981 nicht?

An einigen Stellen scheint, beabsichtigt oder nicht, hindurch, wer nach Meinung der Autoren für die politische Spätorientierung der Skinheads verantwortlich sei. Ich persönlich kann dieses Wer-hat- Schuld-Gerede nicht mehr hören. „Wenn die Opfergruppen (der Nazi-Skins) nicht tagtäglich weiter in Presseerklärungen und Schlagzeilen angeboten“ würden, gäbe es – nach Mölln – auch unter rechten Skins einen „Meinungsumschwung“. Ich weiß, daß man während der Arbeit am Thema manchmal sonnenklar eine bestimmte Gruppe als Schuldige sieht; ich weiß inzwischen auch, daß sich allgemein gehaltene Anforderungen an andere als Kurzschlüsse erweisen, sobald sie formuliert sind. An anderer Stelle wird den „politischen Eliten“ nachgesagt, sie hätten nicht rechtzeitig gehandelt. Später heißt es, eine „innovative Sozialforschung“ hätte helfen können.

An die Stelle von „innovativer Sozialforschung“ würde ich „Information“ setzen. Farin/Seidel- Pielen haben hierzu erheblich beigetragen. Die Autoren präsentieren auch Ergebnisse einer Fragebogenaktion unter Skinheads. Wenn 50 Prozent sagen, sie seien rechts- oder linksradikal, dann kann ich darin nichts Politisches, aber viel Menschliches erkennen. Neu und erstaunlich hoch war für mich der Anteil der Mädchen, inzwischen 15 bis 20 Prozent. Wenn solche Zahlen sich festigen, ist klar, was uns erwartet. Das Skinsein wird nicht mehr beendet durch die Freundin, mit der man sein Leben ändert. Vielmehr würden dann in ein paar Jahren alte Glatzen, nicht angegraut, aber gut poliert, in den Straßencafés sitzen, wie alle, die sich für normal halten, es tun. Sie würden gemeinsam alt werden und Kinder haben, die später wer weiß wie werden, aber eines sicher nicht: so wie ihre Eltern.

Klaus Farin, Eberhard Seidel-Pielen: „Skinheads“, Beck'sche Reihe 1003, 227 S., 30 Abb. 17.80 DM

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